Der Mythos von Bleiburg
Kärnten/Koroška ein Magnet für faschistisch revisionistische Feiern?
Jedes Jahr im Mai und weitgehend unbeachtet von österreichischer Politik und österreichischen Medien treffen sich am Loibacher Feld bei Bleiburg/Pliberk an der 1985 neu errichteten Gedenkstätte Tausende, um der "Tragödie von Bleiburg" zu gedenken. Bereits am Hinweg zur Gedenkstätte bekommt mensch von mehreren HändlerInnen diverse Ustaša-Abzeichen angeboten, es werden DVDs angepriesen, die laut VerkäuferIn, "die ganze Wahrheit" erläutern sollen. Entschließt mensch sich eine DVD zu kaufen, gibt es dazu "gratis" noch eine geschenkt, die wiederum "die ganze Wahrheit" über den General Ante Gotovina(1), gegen den seit 2005 ein Prozess vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag läuft, näher bringen soll. Welche "Wahrheit" das wohl sein soll, ist schnell erkannt, trägt der/die VerkäuferIn doch stolz ein "Gotovina-Shirt" welches diesen als kroatischen Helden ausweist. Über eine Bahntrasse erreicht mensch einen Hügel, von dem aus die Gedenkstätte überblickt werden kann. Was schon bisher kaum zu übersehen war, wird Gewissheit: die "Gedenkveranstaltung" in Bleiburg/Pliberk ist wohl eines der größten faschistischen Treffen in Österreich.
Hunderte Menschen in schwarzen Ustaša-Uniformen und entsprechende Fahnen schwingend, versammeln sich vor der Stätte. Ein kleiner Zaun trennt den offiziellen Teil der Veranstaltung mit Vertretern der kroatischen Kirche und PolitikerInnen vom Rest der BesucherInnen. Die Sprecher: Geistliche und der kroatische Innenminister. Nervös überwachen Bodyguards in schwarzen Anzügen und mit "Knopf im Ohr" das Geschehen. Während also im inneren Teil das offizielle Kroatien – Folklore inklusive - seinen Platz hat, wird der überwiegende Teil der Gedenkstätte von Symbolen beherrscht, die in Kroatien verboten sind. Ist der offizielle Teil der Veranstaltung vorbei, drängen die BesucherInnen zu dem Gedenkstein, um sich selbst davor ablichten zu lassen - begehrt hierbei ist die Nähe zu prächtigen Ustaša-Uniformen oder martialisch aussehenden Nazihools. Dass dann die Trennung, wie es sie vorher gegeben hat, nicht ganz so ernst genommen wird, zeigt sich, wenn mit "Crna Legija"-Symbolen (eine als "Eliteeinheit" der Ustaša bezeichnete Truppe) gekleideten Ustaši gemeinsam mit Geistlichen ein Tänzchen wagen, während der kroatische Minister eskortiert von seinen Bodyguards und einer Truppe österreichischer PolizistInnen das Feld verlässt. Doch die BesucherInnen tragen nicht nur Ustaša-Uniformen und Symbole, viele von ihnen tragen T-Shirts mit dem Bild von Ustaša-Sänger Marko Perkovic alias "Thompson", der zur EM-Fan-Zonen-Eröffnung in St. Andrä hätte auftreten sollen. Antifaschistische Proteste und Bedenken der Sicherheitsdirektion führten jedoch zur Absage dieses Konzerts. "Thompson", der sich nach dem Maschinengewehr benannt hat, das er im Krieg 1991 benützte, bezieht sich in seinen Liedern positiv auf die Ustaša und den "Unabhängigen Staat Kroatiens" (NDH) oder macht sich gleich direkt über das Lager Jasenovac, in dem tausende SerbInnen, Juden und Jüdinnen, Roma und WiderstandskämpferInnen ermordet wurden, lustig.(2) Bezeichnenderweise wurde "Thompson" nach der Absage vom Kärntner Landeshauptmann persönlich zu einem EM-Spiel eingeladen.
Der Mythos
Was bewegt nun also all diese Leute zum Loibacherfeld zu pilgern und hier gemeinsam mit offiziellen kroatischen RegierungsvertreterInnen und Geistlichen den faschistischen Truppen des NDH-Regimes zu gedenken? Entgegen der Legende gab es weder eine zentrale Kapitulation der Ustaša-Einheiten in Bleiburg/Pliberk, sondern mehrere unabhängig von einander entlang der Grenze zwischen Kärnten/Koroška und Slowenien/Slovenija, noch ist es belegbar, dass es vor Ort Erschießungen bzw. Massentötungen durch die Jugoslawische Armee gegeben hat. Überliefert sind Tote und Verletzte in den letzten Gefechten vom 14. und 15. Mai 1945 rund um Bleiburg/Pliberk sowie diverse Selbstmorde. Nach der Kapitulation der einzelnen Einheiten wurden diese nach Jugoslawien zurückgebracht und Tausende in Lagern interniert. Hierbei kam es, großteils auf slowenischem Gebiet, zu Tötungen und Erschießungen, akutelle Forschungen gehen von mehreren Zehntausenden Menschen aus. In Kroatien haben sich dafür die höchst tendenziösen Begriffe "Kreuzwege" und "Todesmärsche" eingebürgert.(3) Doch schon bald nach Kriegsende bemühten sich kroatische Exil-Verbände in Österreich um eine Gedenkstätte, und so wurde 1976 ein Gedenkstein auf dem Friedhof in Loibach errichtet. Nach dem Zusammenbruch Jugoslawiens erhielten die kroatischen Ustaša-Exil-Verbände neuen Auftrieb, da sie einen unabhängigen Staat Kroatien in direkter Verbindung zum NDH-Staat sahen. Unterstützung erhielt dieser Gedanke auch von der Regierung Tujdman ab 1990. Trotz der offiziellen Verankerung des Antifaschismus in der kroatischen Verfassung wurden vor allem während des Krieges 1991-1995 ganz gezielt Ustaša-Symbole und der positive Bezug auf den NDH-Staat gesucht und die Ustaša-Ideologie verbreitet. In der ersten Version der kroatischen Flagge begann das Schachbretttmuster wie im Ustaša-Staat mit einem weißen Feld, was bald danach jedoch geändert werden musste, der Name der Währung, Kuna, wurde 1994 ebenfalls übernommen. Gleichzeitig wurden PartisanInnen-Denkmäler und -Gedenktafeln zerstört oder abmontiert, dafür Straßen nach Ustaša-Verbrechern wie zB. Mile Budak, gefeierter NDH-Dichter und Stellvertreter von Pavelić, umbenannt. Der Zagreber "Platz der Opfer des Faschismus", auf dem sich im NDH die Gestapo- und Ustaša-Zentralen befunden hatten, wurde bereits 1990 in "Platz der kroatischen Größen" umbeannnt und erhielt erst nach Tudjmans Tod 2000 seinen Namen zurück. Opferzahlen des KZ-Jasenovac wurden klein geredet, die Politik einer nationalen "Versöhnung" zwischen Ustaša und PartisanInnen, die angeblich beide auf ihre Art für die kroatische Sache gekämpft hätten, unterworfen und eine TäterInnen-Opfer-Umkehr betrieben (z.B. in Tudjmans Buch "Irrwege der Geschichtswirklichkeit", in dem die Juden und Jüdinnen als verantwortlich für die Ereignisse in Jasenovac dargestellt wurden)(4). Erst nach dem Tod Tudjmans und der Annäherung Kroatiens an die EU, versuchten Teile des offiziellen Kroatiens wieder die NDH-Vergangenheit kritisch zu betrachten. So wurden Straßen wieder umbenannt und vom Plan Tudjmans, aus dem Konzentrationslager Jasenovac eine "gemeinsame" Gedenkstätte für TäterInnen und Opfern zu machen, Abstand genommen. Der Höhepunkt der Auseinandersetzung mit dem Zweiten Weltkrieg war der "Fall Šakić". Der ehemalige Lagerkommandant von Jasenovac Dinko Šakić, der noch 1990 selbst beim Bleiburger Ustaša-Treffen in Österreich war, und den Präsident Tudjman 1994 in Argentinien traf und dem er später signalisierte, er habe das "Recht" auf eine Rückkehr nach Kroatien, denn er sei "ein Opfer historischer Umstände", wurde 1999 in Zagreb zur Höchststrafe von 20 Jahren Haft verurteilt, obwohl dem Urteil monatelange Debatten über den antikroatischen internationalen Druck "gewisser Kreise" und Verschwörungstheorien bezüglich des Zeitpunkts der Verhaftungsgesuchs des Simon Wiesenthal Zentrums vorangegangen waren(5). Ein anderer gesuchter kroatischer Kriegsverbrecher konnte noch nicht zur Rechenschaft gezogen werden. Milivoj Ašner, ehemaliger Ustaša-Polizeichef von Pozega, entzieht sich bis heute erfolgreich der kroatischen Justiz. Er lebt unbehelligt – da angeblich vernehmungsunfähig – in Klagenfurt/Celovec und plauderte während der EM, nachdem er in der Klagenfurter Fan-Zone gefilmt wurde, mit einem Sun-Reporter, dem er erzählte, "er sei jederzeit bereit, vor Gericht auszusagen."(6)
Literaturempfehlung:
Kroatien-Nummer der Zeitschrift Zeitgeschichte - http://www.univie.ac.at/zeitgeschichte/, Erscheinungsdatum: Herbst 2008
Ljiljana Radonic: Vergangenheitspolitik in Kroatien – Vom Geschichtsrevisionismus zur Aufarbeitung der Vergangenheit?
Stefan Dietrich: Der Bleiburger Opfermythos
Fußnoten
1) Ante Gotovina ist ein kroatischer General im Ruhestand. Seit 2005 läuft gegen ihn ein Prozess vor dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien. Er wird angeklagt, während der "Befreiung" der Krajina 1995 als General der kroatischen Armee und damit als Oberbefehlshaber der kroatischen Truppen Kriegsverbrechen gegen SerbInnen befohlen zu haben.
2) http://cafecritique.priv.at/blog/2008/04/22/nur-ein-groser-patriot
3) Siehe Stefan Dietrich: "Der Bleiburger Opfermythos", in: Zeitgeschichte, Herbst 2008
4) Siehe Ljiljana Radonic: Vergangenheitspolitik in Kroatien – Vom Geschichtsrevisionismus zur Aufarbeitung der Vergangenheit?, in: Zeitgeschichte, Herbst 2008
5) http://www.shoa.de/content/view/231/46/ (abgerufen 2008, Link leider nicht mehr online)
6) http://www.nachkriegsjustiz.at/aktuelles/zuroff_2005_aschner.php
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Infokasten: Ustaša
Als am 25. März 1941 Vertreter Jugoslawiens in Wien den Beitritt zum Dreimächtepakt unterschrieben, kam es zwei Tage später in Belgrad zum Staatsstreich. Die neue Regierung annullierte den Beitritt zum Dreimächtepakt. Daraufhin griffen Wehrmachtsverbände am 6. April 1941 Jugoslawien und Griechenland an, welches sich bis zu diesem Zeitpunkt erfolgreich gegen italienische Truppen verteidigt hatte. In kurzer Zeit wurde jeglicher Widerstand überrannt und Jugoslawien kapitulierte am 17. April. Der Ustaša-Miliz und ihrem Führer Ante Pavelić (der bis dahin im italienischen Exil lebte) wurde von Deutschland "erlaubt", den "Unabhängigen Staat Kroatien" (Nezavisna Država Hrvatska, NDH) auszurufen. Die Ustaši ließen keine Zeit verstreichen und gingen mit äußerster Brutalität gegen SerbInnen, Juden und Jüdinnen sowie Roma und kroatische AntifaschistInnen vor. Ihre Grausamkeit bewegte sogar höchste NS-Emissäre dazu, sich in Berlin über die Gräueltaten zu beschweren. 1945 versuchten Ustaša-Milizen und Domobrani gemeinsam mit flüchtenden Wehrmachtsverbänden, sowie slowenischen und serbischen Kollaborateuren nach Österreich zu kommen, um sich den britischen Truppen zu ergeben und so der Verfolgung und Bestrafung durch die siegreichen PartisanInnen zu entfliehen. Diese Flucht wurde auch nach der Kapitulation Deutschlands am 8. Mai 1945 fort- und mit Waffengewalt durchgesetzt. In Österreich angekommen mussten sich die Einheiten der Jugoslawischen Volksarmee ergeben. Die meisten Führungspersönlichkeiten hingegen setzten sich frühzeitig ab. Ante Pavelić selber konnte über Österreich und den Vatikan nach Südamerika flüchten und starb 1959 in Spanien.