Parlamentarische Anfrage
Quelle: www.parlament.gv.at (3473/J XXII. GP)
Eingelangt am 28.09.2005
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.
der Abgeordneten Öllinger, Freundinnen und Freunde
an die Bundesministerin für Justiz
betreffend Zweifel
Im Zusammenhang mit dem jährlichen Treffen am Ulrichsberg in Kärnten, bei dem sich auch SS-Veteranen, Alt- und Neonazis ein Stelldichein geben, ist es heuer am 17.9.05 zu einer Gegendemonstration gekommen, in deren Verlauf der deutsche Staatsbürger Hans Georg E. festgenommen und wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt angezeigt wurde.
Hans Georg E., der zunächst in Ferlach in Polizeihaft angehalten wurde, soll am Sonntag abends in die Justizanstalt Klagenfurt überstellt worden sein.
Nach unseren Informationen hat Hans Georg E. schon während des Polizeiarrests in Ferlach einen Kärntner Anwalt bevollmächtigt, seine Interessen zu vertreten, dem Anwalt wurde jedoch ebenso die Kontaktnahme verwehrt wie dem Verdächtigen.
Am Montag, 19.9.05, wurde dem Anwalt erklärt, dass der Termin der Haftprüfung verschoben worden sei und er vom neuen Termin benachrichtigt würde. Im Verlauf des Montags wurde neuerlich jede Kontaktnahme zwischen Anwalt und Verdächtigem verhindert.
Am Dienstag, 20.9.05, wurde Hans Georg E. anscheinend dem Untersuchungsrichter vorgeführt, wieder ohne anwaltliche Vertretung, und wenig später - anscheinend vom gleichen Richter - in einer Hauptverhandlung wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt zu 9 Monaten Haft, bedingt auf drei Jahre, verurteilt.
Nach uns vorliegenden Informationen hat Hans Georg E. das Urteil angenommen, nachdem ihm erklärt wurde, dass er andernfalls (bei Bedenkzeit) mit weiterer Haft rechnen müsste.
Nach Ansicht der Unterfertigten sollte es in Österreich eigentlich unmöglich sein, unter den geschilderten Umständen ein rechtskonformes Verfahren, geschweige denn Urteil zustande zu bringen. Dennoch ist es in Klagenfurt möglich gewesen, übers Wochenende Anzeige, Strafantrag, Anklage und Verhandlung im Schnellstverfahren abzuwickeln und so binnen drei Tagen nach der Festnahme offensichtlich ein Urteil zu erwirken, noch dazu in einer Causa, deren Strafrahmen beträchtlich ist.
Ohne Kontakt zum Anwalt, ohne Vertretung durch einen bevollmächtigten Anwalt, mit der Androhung längerer Haft und möglicherweise durch eine Personalunion von U-Richter und Strafrichter ließen sich freilich strafprozessuale Zustände herstellen, die eher an die Zeit der Inquisition erinnern als an Österreich im 21. Jahrhundert.
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende
ANFRAGE:
1). Wann bzw. zu welcher Uhrzeit wurden die Justizbehörden zum ersten Mal mit der Causa Hans Georg E. befasst?
2). Wann und zu welcher Uhrzeit wurde die Anzeige gegen Hans Georg e. an die Staatsanwaltschaft übermittelt?
3). Wann und zu welcher Uhrzeit hat die Staatsanwaltschaft Klagenfurt Strafantrag gegen Hans Georg E. gestellt?
4). Wann bzw. zu welcher Uhrzeit wurde der Strafantrag
a) dem Anwalt von Hans Georg E.
b) dem Verdächtigen selbst
zugestellt?
5). Hat der Anwalt auf die dreitägige Vorbereitungsfrist verzichtet? Wenn ja, wann?
6). Hat der Angeklagte Hans Georg E. auf die Vorbereitungsfrist verzichtet?
7). Wann bzw. zu welcher Uhrzeit wurde Hans Georg E. in die Justizanstalt Klagenfurt überstellt?
8). Was war der Grund für seine Inhaftierung in der JA Klagenfurt?
9). Wann und durch wen wurde Untersuchungshaft über Hans Georg E. verhängt?
10). Wann und durch wen erfolgte die Haftprüfung?
11). Wurde in der Causa Hans Georg E. ein Untersuchungsrichter eingesetzt? Wenn ja, wer, wann und mit welchem Auftrag?
12). Wurde in der Causa Hans Georg E. durch die Justizbehörde die diplomatische Vertretung der Bundesrepublik Deutschland informiert? Wenn ja, wann?
13). Hat der Inhaftierte versucht, die diplomatische Vertretung seines Landes zu kontaktieren bzw. wurde er auf diese Möglichkeit aufmerksam gemacht?
14). Wurde die diplomatische Vertretung der BRD in dieser Causa tätig? Wenn ja, wann und wie?
15). Wurde während der Inhaftierung des Hans Georg E. diesem eine persönliche Kontaktnahme zu seinem Anwalt Dr. P. ermöglicht? Wenn ja, wann bzw. zu welchen Uhrzeiten?
16). Wurde der Anwalt des Angeklagten von der Hauptverhandlung informiert? Wenn ja, wann bzw. zu welcher Uhrzeit?
17). War der Anwalt des Angeklagten bei der Hauptverhandlung anwesend? Wenn nein, warum nicht?
18). Ist es richtig, dass in diesem Verfahren vor dem Landesgericht der Richter der Hauptverhandlung ident war mit dem U-Richter?
19). Ist es rechtlich zulässig, dass in einem Verfahren vor dem Landesgericht der Richter des Hauptverfahrens ident ist mit dem U-Richter?
20). Wurde der Anwalt des Angeklagten von diesem während des Verfahrens von der Vertretung entbunden? Wenn nein, warum wurde er dann nicht über die Verfahrensschritte informiert?
21). Bis zum Zeitpunkt der Anfragestellung (28.9.05) wurde dem bevollmächtigten Anwalt weder das Urteil zugestellt noch Akteneinsicht gewährt. Dies mutet schon unter dem Aspekt merkwürdig an, dass es die Kärntner Justizbehörden ja merkwürdig eilig hatten, kurzen Prozess mit dem Angeklagten zu machen. Wann bzw. zu welcher Uhrzeit wurde dem Anwalt
a) Akteneinsicht gewährt
b) das Urteil zugestellt?
22). Hat Ihr Ressort eine Prüfung der einzelnen Verfahrensschritte veranlasst und zu welchen Schlussfolgerungen sind Sie dabei gekommen?
23). Müssen wir auch in Zukunft mit "Kurzen Prozessen" nach dem Klagenfurter Vorbild - ohne Anwalt, ohne Vorbereitungszeit - rechnen?
Beantwortung der Parlamentarische Anfrage
Quelle: www.parlament.gv.at (3365/AB XXII. GP)
Eingelangt am 18.11.2005
DIE BUNDESMINISTERIN
FÜR JUSTIZ
BMJ-Pr7000/0086-Pr 1/2005
An den
Herrn Präsidenten des Nationalrates
zur Zahl 3473/J-NR/2005
Die Abgeordneten zum Nationalrat Karl Öllinger, Kolleginnen und Kollegen haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend "Zweifel im Zusammenhang mit dem jährlichen Treffen am Ulrichsberg in Kärnten..." gerichtet.
Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:
Zu 1:
Die Justizbehörden wurden am 17. September 2005 um 21.25 Uhr erstmals mit der Causa Hans-Georg E. durch einen Journalanruf der Sicherheitsbehörden bei der Staatsanwaltschaft Klagenfurt befasst.
Zu 2 und 7:
Die Anzeige gegen Hans-Georg E. wurde gleichzeitig mit dessen Einlieferung in die Justizanstalt Klagenfurt am 18. September 2005 um 16.45 Uhr an die Staatsanwaltschaft übermittelt.
Zu 3:
Der Strafantrag der Staatsanwaltschaft Klagenfurt langte am 19. September 2005 beim Landesgericht Klagenfurt ein. Die Uhrzeit des Einlangens wird - in Entsprechung der Bestimmungen der §§ 102f Geschäftsordnung für die Gerichte I. und II. Instanz - nicht erfasst.
Zu 4, 5, 15 bis 17, 20 und 21:
Der Strafantrag wurde dem Beschuldigten am 20. September 2005 zu Beginn seiner ab 9.15 Uhr durchgeführten Vernehmung durch den Einzelrichter zugestellt. Eine Zustellung des Strafantrags an einen Verteidiger erfolgte nicht. Nach dem mir vorliegenden Bericht des Herrn Präsidenten des Landesgerichts Klagenfurt verzichtete der voll geständige Beschuldigte in der ersten gerichtlichen Vernehmung nach umfassender Rechtsbelehrung ausdrücklich, auf Beiziehung eines Verteidigers. Zu diesem Zeitpunkt lag auch keine Bevollmächtigungsanzeige eines Rechtsanwaltes im Gerichtsakt auf. Ein Fall notwendiger Verteidigung nach § 41 StPO lag nicht vor, weshalb die Ladung eines Verteidigers zur Hauptverhandlung unterblieb. Die Bevollmächtigungsanzeige eines Rechtsanwaltes langte erst nach Abschluss der Hauptverhandlung beim Landesgericht Klagenfurt ein. Am 21.9.2005 beantragte der Anwalt Akteneinsicht. Am 23.9.2005 ordnete der zuständige Richter die Herstellung und Übermittlung einer Aktenkopie an den Verteidiger an, die am 26.9.2005 abgefertigt wurde.
Das am 4.10.2005 ausgefertigte Urteil wurde am 5.10.2005 an den Verteidiger abgefertigt.
Zu 6:
Ein ausdrücklicher Verzicht auf die Vorbereitungsfrist des § 221 Abs. 1 StPO wurde im Hauptverhandlungsprotokoll nicht vermerkt. Ob aus dem Ersuchen um direkte Verantwortung in der Hauptverhandlung das Einverständnis zur Abkürzung der Vorbereitungsfrist erblickt werden kann, obliegt nicht meiner Beurteilung sondern ist von den unabhängigen Gerichten auf Grund eines rechtzeitigen und zulässigen Rechtsmittels zu entscheiden.
Zu 8:
Nach § 177 Abs. 2 StPO sind Festgenommene ohne unnötigen Aufschub, längstens binnen 48 Stunden nach der Festnahme dem zuständigen Gericht einzuliefern. Einer sofortigen Freilassung stand der Antrag der Staatsanwaltschaft Klagenfurt auf Verhängung der Untersuchungshaft entgegen.
Zu 9 bis 11, 18 und 19:
Über den Beschuldigten wurde keine Untersuchungshaft verhängt. Er befand sich bis zur Verfügung der Enthaftung durch das Gericht in Verwahrungshaft nach § 177 StPO. Demzufolge erfolgte weder eine (Untersuchungs-)Haftprüfung im Rahmen einer Haftverhandlung noch wurde ein Untersuchungsrichter tätig; die Staatsanwaltschaft Klagenfurt erhob den Strafantrag unmittelbar beim Einzelrichter des Landesgerichtes Klagenfurt.
Nach § 68 Abs. 2 StPO ist von der Mitwirkung und Entscheidung in der Hauptverhandlung ausgeschlossen, wer in der selben Sache als Untersuchungsrichter tätig gewesen ist. Nach Erhebung eines schriftlichen Antrags des Anklägers auf Bestrafung hat gemäß § 485 Abs. 2 StPO der Einzelrichter über Anträge auf Verhängung oder Fortsetzung der Untersuchungshaft zu entscheiden.
Zu 12 bis 14:
Der Beschuldigte wurde von seinem Recht, die diplomatische Vertretung seines Landes zu informieren, mit einem Verständigungsblatt (zum Haftbericht der Polizei) in Kenntnis gesetzt; er nahm dieses Recht aber nicht in Anspruch, sodass eine solche Information unterblieb.
Zu 22 und 23:
Auf Grund der verfassungsrechtlichen Trennung von Verwaltung und Justiz steht es mir nicht zu, Gerichtsverfahren bzw. einzelne Gerichtsentscheidungen zu kommentieren oder gar zu überprüfen. Diese Beurteilung obliegt allein den unabhängigen Gerichten im Rahmen ihrer Prüfungsbefugnisse. Eine Notwendigkeit für dienstaufsichtsbehördliche Maßnahmen ergab sich auf Grund der anlässlich der Anfragebeantwortung eingeholten Berichte und Stellungnahme nicht.
10. November 2005
(Maga. Karin Gastinger)