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Von der Verankerung des Revisionismus im Gedächtnis

Am Ulrichsberg treffen sich Jahr für Jahr SS- und Wehrmachtsveteranen aus ganz Europa. Sie veranstalten eine Feier samt Gottesdienst, Reden, Kranzniederlegungen und Muldengesängen, die sich jedes Jahr gleicht. Immer wieder wird der gleiche Ablauf wiederholt, ja sogar in den Reden finden sich immer wieder die fast gleichen Floskeln und Redewendungen. Mensch kann die Feierlichkeiten am Ulrichsberg also durchaus als eine Art Ritual bezeichnen. Dieses Ritual findet an einem eigens dafür geschaffenen Ort statt, einem Gedächtnisort, der seit den 1930er Jahren geplant wurde [wirklich 30er jahre?] und seit nunmehr fast 50 Jahren der Ort eines immer wieder in ähnlicher Manier stattfindenden Treffens ist. Dieses jährliche Treffen kann auch als eine Art Jahrestag betrachtet werden. Ein Tag im Jahr, an dem den Opfern des Krieges gedacht wird - wohlgemerkt nur den Opfern aus den „eigenen“ Reihen. eben jenen Soldaten, die für den Sieg des „Deutschtums“ gekämpft hatten, sei es im Abwehrkampf, sei es im zweiten Weltkrieg. So wird am Ulrichsberg Jahr für Jahr von den tapferen und eidestreuen Soldaten erzählt, die wacker für ihre Heimat gekämpft haben und somit über jede Schuld erhaben sind. Doch welchen Sinn macht es, jedes Jahr auf einen Berg zu klettern, um sich gegenseitig und den jüngeren Generationen zu erklären, nichts falsch gemacht zu haben?

Vom Gedächtnis der TäterInnen...
Jeder Mensch hat ein individuelles Gedächtnis, und all jenes, an das sich dieses Gedächtnis erinnert, hängt mit dem sozialen Umfeld der Person zusammen. So ist es möglich, dass wir auf Grund der Menschen um uns Dinge verdrängen, dass wir Dinge verstärken, oder aber auch verändern und manches einfach vergessen. Doch am Ulrichsberg geht es nicht um die private Erinnerung einer einzelnen Person. Es geht viel mehr um die Erinnerungen einer ganzen Generation, einer Gemeinschaft der TäterInnen und in weiterer Folge um die Erinnerung einer Gesellschaft.

Die Gemeinschaft der TäterInnen, also der ehemaligen NationalsozialistInnen, der Wehrmachtsangehörigen und der SS-Soldaten hat eine Art kollektives Gedächtnis. Ein Gedächtnis, das als klassisches TäterInnengedächtnis zu bezeichnen ist.

...über das Gedächtnis der „Opfer“...
Dieses Gedächtnis orientiert sich am sozialen Umfeld, welches im Falle der NS- TäterInnen auch aus solchen besteht, und so lügt sich die revisionistische Generation der ("offiziellen" Ex-) Nazis einen Opferstatus herbei. Opfer in vielerlei Hinsicht: Opfer des NS-Systems, schließlich konnten sie sich nicht wehren, ohne selbst getötet zu werden, Opfer der Verführung, Opfer der Alliierten, die sie nach dem Krieg so furchtbar behandelten, Opfer der PartisanInnen, die sie nun mal bekämpfen mussten, Opfer der heutigen Gesellschaft, die vom Krieg ja keine Ahnung hat,... Durch diesen Opferstatus können sich Menschen getrost an die „guten Seiten“ des Nationalsozialismus erinnern, ohne deshalb Schuld zu haben. Denn schuldig können Opfer nicht sein. So wird mit einem Schlag die gesamte Schuldfrage vom Tisch gewischt. Um diesen Opferstatus aufrecht zu erhalten, werden auf der anderen Seite verschiedenste Strategien zur Verdrängung des Geschehenen angewandt. Es werden Zahlen aufgerechnet, es werden Schuldzuweisungen erteilt, es werden Dinge ausgeblendet oder es wird einfach darüber geschwiegen. Es ist schließlich kein Zufall, dass am Ulrichsberg Namen wie „Adolf Hilter“ nicht ausgesprochen werden.

...und das TäterInnentrauma...
Hier stellt sich die Frage, woher diese merkwürdig anmutende Selbstinszenierung als Opfer kommt. Nach Bernhard Giesen und Aleida Assmann haben die ehemaligen Wehrmachts- und SS- Soldaten ein Tätertrauma. Ein Trauma, das dadurch entstanden ist, dass ihre „triumphalistische Allmachtsphantasie unvermittelt an ihre Grenzen“ gestoßen ist. Durch die klare Schuldzuweisung nach dem zweiten Weltkrieg, blieb für die TäterI kein Fünkchen Ehre oder Anerkennung von außen mehr übrig. Das Trauma drohte also ihre Identität zu zerstören. So galt es für die Tätergeneration ein Selbstbild aufzubauen, das es ihnen ermöglichen würde Anerkennung zu erhalten und das Gesicht zu wahren. So stützten sich die TäterInnen auf ihr Dasein als Opfer, welches ihnen ermöglichte ein positives Selbstbild aufzubauen. Und gleichzeitig verschweigen die Täter jegliche Verbrechen und wehren jede Schuld ab, um ihr neues Identitätsprofil nicht zu zerstören. Die Tabuisierung von Verbrechen des Nationalsozialismus, von Vergeltungsschlägen bis hin zu Auschwitz ist also kein Zufall, sondern Teil der Identität der TäterInnen.

...zum Umlügen der Geschichte
Am Ulrichsberg geht es aber nicht nur darum, die Identität der TäterInnengeneration aufrecht zu erhalten, sondern auch darum, die Geschichtslügen, auf denen diese Identität basiert, zu verbreiten und so zur gültigen Erzählweise der Geschichte umzufunktionieren.

Es geht also darum, das Gedächtnis einer Gesellschaft in revisionistischer Weise zu prägen. Dafür ist es notwendig, dieser Gesellschaft das Gefühl zu geben ein Teil der Erfahrung zu sein, selbst erlebt zu haben, was geschehen ist, und somit auch die Erinnerung teilen zu können.

So erfüllen die Rituale am Ulrichsberg also eine ganz bestimmte Funktion: nämlich jene, dass alle TeilnehmerInnen der Feier durch die immer wiederkehrende Zeremonie der Reden, der Kranzniederlegungen und Gesänge sowie des anschließenden gemeinsamen Betrinkens das Gefühl haben ein Teil der Generation der TäterInnen zu sein - und somit auch in irgendeiner Form das Erlebte verstehen zu können. Durch diese Möglichkeit zur Interaktion und Partizipation wird die Geschichte der TäterInnen zur eigenen Geschichte. Die Geschichte wird wieder-geholt, und die kollektive Identität der Gruppe, einer Gruppe, die sich selbst als Opfer sieht, wird wieder und wieder aufs neue inszeniert. Und genau dieses immer wieder Erzählen der Geschichte, wie sie im Gedächtnis der TäterInnen stattfand, macht dieses Ritual am Ulrichsberg so gefährlich: Durch die Wiederholung und Ritualisierung entsteht ein Mythos. Der Mythos von der Geschichte der tapferen und treuen Soldaten, die für ihre Heimat gekämpft hatten, die nichts von den Gräuel der NationalsozialistInnen wussten, die „einfach nur“ treue „Deutsche“ waren. Ein Mythos, der durch die Wiederholungen ins Gedächtnis eingehen, und dadurch auf einmal nicht mehr Mythos ist, sondern richtige Erinnerung und somit Geschichte werden kann.

So wird am Ulrichsberg durch das Veranstalten diverser Rituale versucht, die Geschichte, die Erinnerung und die Mythen auch nachfolgenden Generation zu eigen zu machen. Das Ulrichsbergtreffen hat also nicht nur die Funktion einer Wiedersehensfeier alternder "Ehemaliger", sondern ganz klar das Ziel, eine revisionistische Geschichtsdeutung weiterzugeben und zu verbreiten und so Geschichte langfristig umzulügen und umzudeuten.

Literaturauswahl:
Assmann, Aleida: Der lange Schatten der Vergangenheit. Erinnerungskultur und Geschichtspolitik. München, 2006 Giesen, Bernhard/ Schneider, Christoph (Hg.): Tätertrauma. Nationale Erinnerungen im öffentlichen Diskurs. Konstanz, 2004 Halbwachs, Maurice: Das Gedächtnis und seine sozialen Bedingungen. Frankfurt, 1985 Welzer, Harald: Das kommunikative Gedächtnis. Eine Theorie der Erinnerung. München 2002