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Die Pflicht erfüllt: Für Führer, Massenmord und Holocaust

Das Bild des unpolitischen, anständig kämpfenden, einfachen Soldaten ist eine der hartnäckigsten Geschichtslügen über die NS-Vergangenheit. Mit Phrasen von Kameradentum und Heimatverteidigung wird nicht nur am Ulrichsberg verschleiert, dass die Wehrmacht eine der Stützen der Vernichtungspolitik war. Das mörderische Wüten der Soldaten, vor allem im Osten, wird ebenso geleugnet wie die Verstrickung des Militärs in den Holocaust.

Die Lüge von der „sauberen“ Wehrmacht
Egal, ob es die Redner am Ulrichsberg sind, die Kameradschafts- und Traditionsverbände, die Vertreter des Bundesheers oder Hans-Peter Maier auf der Straße, dem der Opa erklärt hat, wie es damals war – die Bilder vom Krieg, die vermittelt werden, gleichen sich: Da wird vom harten russischen Winter geredet, von den vorbildlichen Kameraden, von der „Rache“ der PartisanInnen, von der Kriegsgefangenschaft, und immer wieder von den Soldaten, die nichts mit Hitler und dem Nationalsozialismus im Sinn gehabt, sondern nur ihre Frauen und Kinder vor „dem Russen“ geschützt hätten. Dresden, Stalingrad, Sudetenland – den Krieg, der in den privaten, halbprivaten und öffentlichen Erzählungen existiert, haben die ÖsterreicherInnen und Deutschen einzig und allein als Opfer erlebt.

Nicht nur Kurt Waldheim bzw. sein Gaul erfüllte als Soldat der deutschen Wehrmacht zumindest für Volk und Vaterland seine Pflicht und verbat sich genaueres Nachfragen zu Details dieser Pflichterfüllung, vor allem seitens derer, die nicht dabei waren. Es ist kein Zufall, dass gerade im Fall des nationalsozialistischen Angriffskriegs gegen die damalige Sowjetunion die Geschichtsfälschungen der extremen Rechten erstaunlich konsensfähig sind: Während etwa das Abschieben der Kriegsschuld an Großbritannien oder die USA im Großen und Ganzen auf die einschlägige Szene beschränkt ist, stößt die sogenannte Präventivkriegsthese, d.h. die historisch unhaltbare Behauptung, Hitler sei mit dem Angriff auf die Sowjetunion einem bevorstehenden Einmarsch Stalins zuvorgekommen, weit außerhalb rechtsextremer Kreise auf Zustimmung.

NS-Propaganda lebt weiter
Die NS-Propaganda, die trotz der Darstellung der sowjetischen Bevölkerung als „Untermenschen“ das Wort von der Befreiung vom Bolschewismus im Mund führte, ging fast ungebrochen in das kollektive Gedächtnis der TäterInnengeneration und ihrer Nachfahren über. Noch immer ist in der österreichischen Erinnerungskultur mit dem Unternehmen „Barbarossa“ einer der brutalsten Raub- und Vernichtungsfeldzüge der Geschichte, wenn nicht als antikommunistisches Befreiungs-, dann jedenfalls als patriotisches Verteidigungsunternehmen gespeichert. Bei den Ulrichsbergtreffen gehen die Redner nur noch einen Schritt weiter, indem sie auch die Angehörigen der Waffen-SS in diese Charakterisierung als Kämpfer für „die Freiheit in Europa“ (Jörg Haider) miteinbeziehen. Doch selbst wer sich tatsächlich kritisch mit dem NS-Regime auseinandersetzt, lässt oftmals über den einfachen Soldaten im Schützengraben nichts kommen: Für die Vernichtungslager, für den Holocaust und den Terror gegen die Zivilbevölkerung sei ausschließlich die SS verantwortlich gewesen, so die herkömmliche Erzählweise, die Wehrmacht hingegen habe nur ihre Bevölkerung geschützt wie jede andere Armee der Welt auch und für die Heimat gekämpft, irgendwie eben, denn für welche Heimat, wird schon nicht mehr hinterfragt.

Führt mensch sich den heftigen Widerstand aus den verschiedensten politischen Lagern vor Augen, den die Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941–44“ in Deutschland und Österreich auslöste, wird klar, welches Tabu noch immer die Rolle der Armee im 2. Weltkrieg umgibt: Nicht dass Verbrechen des NS-Regimes dokumentiert wurden, löste die emotionalen Proteste aus, sondern die Tatsache, dass es Verbrechen der Wehrmacht waren, die gezeigt wurden – nicht Verbrechen der SS, nicht der Gestapo, nicht der hohen NS-FunktionärInnen. Was die „alten Frontschweine“, wie der ehemalige steirische Landtagspräsident Franz Wegart treffend formulierte, an dieser Ausstellung so empörte, war, dass diese Fotos jahrelange familiäre und öffentliche Verdrängungsarbeit zu gefährden schienen. Den historischen Fakten zum Trotz lautet der Glaubenssatz in Österreich: Unsere Väter und Großväter waren Opfer – der Roten Armee, der PartisanInnen, wenns denn sein muss, sogar der Nazis, aber keine Täter, die sich am millionenfachen Massenmord beteiligten.

Die Kriegsziele des deutschen Faschismus
Das Ziel der deutschen Politik war von Anfang an ein gigantisches Expansions- und Versklavungsprojekt unter den Prämissen eines biologistischen Rassismus und eliminatorischen Antisemitismus, wie es Hitler in groben Zügen bereits in „Mein Kampf“ skizziert hatte. Als der Angriff auf Polen 1939 erfolgte, wusste die Wehrmachtsspitze, entgegen allen späteren Beteuerungen, über die tatsächlichen Kriegsziele Bescheid. Vor den deutschen Generälen sprach Hitler bereits 1933 das erste Mal von „Eroberung neuen Lebensraums im Osten und dessen rücksichtsloser Germanisierung“. Die Unterwerfung und Ausraubung Kontinentaleuropas sollte die Basis für eine deutsche Weltmachtstellung bilden und die Lebensberechtigung sämtlicher BewohnerInnen von ihrer Position in der nationalsozialistischen „Rassenlehre“ abhängig machen.

Für Polen sah Himmlers Niederschrift „Über die Behandlung der Fremdvölkischen im Osten“ (Mai 1940), eine „rassische Siebung“ vor: Eine als „eindeutschungsfähig“ befundene Minderheit sollte zusammen mit deutschen Siedlerfamilien Westpolen „germanisieren; die große Mehrheit – etwa 7/8 der polnischen Gesamtbevölkerung – sollte zum „führerlosen Arbeitsvolk“ gemacht werden, um die „grobe Arbeit“ zu leisten oder an die Peripherie vertrieben werden, d.h. ins sog. Generalgouvernement und noch weiter in den Osten, nach Himmlers Diktion ins „Sammelbecken der für Deutschland rassisch nicht Brauchbaren“.

Rechtlos und versklavt
Ähnliche Germanisierungspläne existierten für die Tschechoslowakei, zudem war die Vertreibung von 260 000 SlowenInnen vorgesehen, und die Ermordung der jeweiligen Führungsschicht, um jeden möglichen Widerstand langfristig auszuschalten. Himmler, auch „Reichskommissar für die Festigung des deutschen Volkstums“, notierte über die künftige Erziehung der Kinder im Osten: „Für die nichtdeutsche Bevölkerung des Ostens darf es keine höhere Schule geben als die vierklassige Volksschule. Das Ziel dieser Volksschule hat lediglich zu sein: Einfaches Rechnen bis höchstens 500, Schreiben des Namens, eine Lehre, dass es ein göttliches Gebot ist, den Deutschen gehorsam zu sein und ehrlich, fleißig und brav zu sein. Lesen halte ich nicht für erforderlich. Außer dieser Schule darf es im Osten überhaupt keine Schule geben.“

Die jüdische Bevölkerung kam in diesen Szenarien von Ausbeutung und Versklavung nicht mehr vor. Mit Beginn des Angriffs auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 stand innerhalb der NS-Führung bereits der Entschluss fest, sämtliche in Europa lebenden Juden und Jüdinnen systematisch zu ermorden: 11 Millionen Männer, Frauen und Kinder. Der Sieg der deutschen Wehrmacht im Osten sollte die „endgültige Lösung der Judenfrage“ ermöglichen, so der Plan der Eichmann-Männer.

Das Militär und der „Generalplan Ost“
Von Beginn des 2. Weltkriegs an ergänzten sich Wehrmacht und SS – ungeachtet der internen Konkurrenz – in ihren Aufgaben: Schon beim Einmarsch in Frankreich ordnete z.B. ein Geheimbefehl innerhalb der Armee die Erschießung deutscher EmigrantInnen an, die den Soldaten in die Hände fallen sollten. In Polen wurden allein 400 000 Menschen vertrieben, um Platz für Truppenübungsplätze der Wehrmacht zu schaffen.

Im Unternehmen „Barbarossa“, dem Überfall auf die Sowjetunion, erreichte die Übereinstimmung der Wehrmacht mit den Zielen und der Praxis der NS-Vernichtungspolitik ihren Höhepunkt. Die propagierte Beseitigung des als jüdisch identifizierten Bolschewismus verband als ideologische Motivation die konservativen Heeresführer, darunter sogar Angehörige der Militäropposition, mit der nationalsozialistischen Führung. Das Oberkommando der Wehrmacht zog sich keineswegs auf die passive Haltung zurück, die es bei den Kriegsverbrecherprozessen in Nürnberg vorschützte, sondern arbeitete aktiv an der Ausrottungspolitik mit.

Der „Generalplan Ost“ war in seinen wesentlichen Zügen Konsens, und das, obwohl er in seiner Brutalität alle bisherigen „Germanisierungsprojekte“ übertraf: Ein Teil Russlands sollte von deutschen SiedlerInnen in Besitz genommen und die russische Bevölkerung vertrieben oder zur Zwangsarbeit herangezogen werden. Die Ukraine als sogenannte Kornkammer, sollte militärisch vom Norden getrennt werden, um sämtliche Nahrungsmittel der Wehrmacht zur Verfügung zu stellen und der einheimischen Bevölkerung zu entziehen. Die „Wirtschaftspolitischen Richtlinien zur Besatzungspolitik in der Sowjetunion“ sahen vor: „Viele 10 Millionen Menschen werden in diesem Gebiet überflüssig und werden sterben oder nach Sibirien auswandern müssen.“ Göring nannte die Zahl der erwarteten Hungertoten: „In diesem Jahr werden 20-30 Millionen Menschen in Russland verhungern. Vielleicht ist das gut so, da bestimmte Völker dezimiert werden müssen.“

Die verbrecherischen Befehle der Wehrmacht
In seiner Rede am 30. März 1941 erklärte Hitler in einer Rede vor 250 Offizieren, worin sich der Krieg gegen die Sowjetunion von der bisherigen Kriegsführung unterscheiden sollte: „Wir müssen vom Standpunkt des soldatischen Kameradentums abrücken. Der Kommunist ist vorher kein Kamerad und nachher kein Kamerad. Es handelt sich um einen Vernichtungskampf.“ In mehreren Erlässen setzte die Wehrmachtsspitze diese Richtlinien um und integrierte damit das Militär vollständig in das Projekt des rassistisch und politisch motivierten Massenmordes.

Der vom Oberkommando der Wehrmacht unterzeichnete „Barbarossa“-Erlass vom Mai 1941 beinhaltete eine generelle Amnestie für erwartete Verbrechen von deutschen Soldaten gegen ZivilistInnen: „Für Handlungen, die Angehörige der Wehrmacht und des Gefolges gegen feindliche Zivilpersonen begehen, besteht kein Verfolgungszwang, auch dann nicht, wenn die Tat zugleich ein militärisches Verbrechen oder Vergehen ist.“ Weiters legte der Erlass fest: „Freischärler sind im Kampf oder auf der Flucht schonungslos zu erledigen.“, wobei in einem beigelegten Disziplinarerlass als „Freischärler“ nicht nur PartisanInnen definiert wurden, sondern alle, denen „Nichtbefolgung deutscher Anordnungen“ unterstellt werden konnte.

Der vom Oberkommando des Heeres herausgegebene „Kommissarbefehl“ schrieb die sofortige Ermordung von PolitikommissarInnen vor. In den „Richtlinien für das Verhalten der Truppe in Russland“ war schließlich die Beteiligung der Wehrmacht am Holocaust bereits angelegt: „Der Bolschewismus ist der Todfeind des nationalsozialistischen deutschen Volkes. Dieser Kampf verlangt rücksichtsloses und energisches Durchgreifen gegen bolschewistische Hetzer, Freischärler, Saboteure, Juden und restlose Beseitigung jeden aktiven und passiven Widerstandes.“ (Erlässe zit. nach Streit S.28-61)

Deutscher Vernichtungskrieg
Die Praxis einer beispiellos brutalisierten Kriegsführung kostete 20-27 Millionen Menschen in der Sowjetunion das Leben. Allein bei der Bombardierung Stalingrads kamen 40 000 Menschen um, zwischen 800 000 und 1 Million verhungerten durch die gezielte Blockade von Leningrad. 14 Millionen BewohnerInnen wurden vertrieben oder zur Flucht gezwungen. Von 5,7 Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen starben 3,4 Millionen, davon 2 Millionen in den ersten acht Monaten des Krieges. Ihr massenhafter Tod war keineswegs das Ergebnis logistischer Probleme, wie es die angeklagten Militärs in Nürnberg später darstellten, sondern einer gezielten Strategie, diese Menschen durch Verweigerung von Nahrung, unmenschliche Internierungen und durch brutale Misshandlungen umzubringen. Erst als es der deutschen Rüstungsindustrie an Arbeitskräften mangelte, bemühte sich die Wehrmacht um eine Verbesserung der Lebensbedingungen in den Kriegsgefangenenlagern, sodass die Überlebenschancen der Gefangenen stiegen. Hunderttausende – die HistorikerInnen nennen Zahlen von 400 000 bis 600 000 – fielen allerdings weiterhin den Erschießungen der SS-Einsatzgruppen zum Opfer: In Zusammenarbeit mit den Kommandanten nahm die SS in den Gefangenenlagern der Wehrmacht Selektionen vor, aufgrund derer Juden/Jüdinnen, KommunistInnen, KonsomolzInnen, Angehörige der gebildeten Schicht und der ökonomischen Elite und sonstwie „verdächtige“ Personen ermordet wurden. Nicht nur, dass die Armee der SS diesen Zugang zu den Lagern schon gestattete, als er offiziell noch gar nicht vorgesehen war, sie forderte von sich aus die SS zu noch mehr und noch genaueren „Sichtungen“ auf.

In den vom Oberkommando der Wehrmacht herausgegebenen „Mitteilungen an die Truppe“ wurden die Soldaten nicht nur auf das Feindbild des Bolschewismus, sondern speziell des jüdischen Bolschewismus eingeschworen: „In der Gestalt dieser Kommissare erleben wir den Aufstand des Untermenschen gegen edles Blut. Es hieße die Tiere beleidigen, wollte man die Züge dieser zu einem hohen Prozentsatz jüdischen Menschenschinder tierisch nennen.“ (Zit. nach Streit S. 86)

Die Beihilfe des Militärs zum Holocaust
Die Verwicklung der Wehrmacht in den Holocaust gehört zu den größten Tabus der Militärgeschichte. Da die Shoah in der mehrheitlichen Erinnerung auf die Massenmorde in den Gaskammern reduziert wird, bleibt oft das ausgeklammert, was in der Sowjetunion geschah oder wird nur als Teil des Kriegsgeschehens wahrgenommen. Doch bevor die ersten Juden und Jüdinnen in den Vernichtungslagern ermordet wurden, hatte der Holocaust in der Ukraine und in Russland bereits begonnen: Mit dem klaren Auftrag der vollständigen Ausrottung der jüdischen Bevölkerung erschossen die SS-Einsatzgruppen in den ersten vier Monaten des Krieges 500 000 jüdische Männer, Frauen und Kinder, 1944 waren es bereits 2 Millionen Ermordete. Ohne die direkte logistische und personelle Mitarbeit der Wehrmacht wären den Einsatzkommandos Erschießungen in diesem Ausmaß niemals möglich gewesen.

In der Praxis arbeiteten die Fronttruppen der Wehrmacht mit den SS-Einsatzgruppen in einem viel höheren Maß zusammen, als es zwischen dem Oberkommando und dem Reichssicherheitshauptamt vereinbart worden war. Größtenteils gingen die Einsatzkommandos im Verband der Wehrmachtseinheiten, zogen gemeinsam mit ihnen in die Dörfer und Städte ein, teilweise auf ausdrücklichen Wunsch der militärischen Befehlshaber. Die Wehrmacht versorgte die SS-Truppen nicht nur mit Munition, Verpflegung und Treibstoff, sie beteiligte sich auch direkt an den Vernichtungsaktionen: Wehrmachtseinheiten übernahmen die Registrierung, äußerliche Kennzeichnung und oft auch die Festnahme der Juden und Jüdinnen in den besetzten Gebieten, gelegentlich beteiligten sich Soldaten selbst an den Exekutionen.

Das Massaker in der Schlucht von Babi Jar, bei dem 33 771 Menschen erschossen wurden, bereiteten die Einsatzkommandos gemeinsam mit den vor Ort tätigen Wehrmachtsstellen vor. In allen Kriegsgefangenenlagern der Wehrmacht waren im April 1942 noch genau 68 jüdische Gefangene am Leben, so konsequent hatte das Militär die „Endlösung“ in seinem Einflussbereich vollzogen – kein Wunder, dass die Ereignismeldungen der SS das „ausgezeichnete Einvernehmen“ mit der Wehrmacht betonten und z.B. berichteten: „Wehrmacht erfreulich gute Einstellung gegen die Juden.“

Doch selbst dieses Ausmaß an Beihilfe zum Holocaust war einigen deutschen Offzieren und Soldaten noch zu wenig: Einsatzkommandos beschwerten sich bisweilen über spontane Pogrome von Wehrmachtsoldaten gegen die jüdische Bevölkerung, die ihre eigenen Mordpläne störten. Ein Mitglied der Militäropposition wie Heinrich von Stülpnagel (hingerichtet 1944) forderte im August 1941 in einem Brief an das Oberkommando den „vermehrten Kampf gegen das Judentum“, und ein Erlass von Oberbefehlshaber Reichenau im Oktober 1941, als der Völkermord in vollem Gang war, lautete: „Der Soldat ist im Ostraum nicht nur ein Kämpfer nach den Regeln der Kriegskunst, sondern auch Träger einer unerbittlichen völkischen Idee und der Rächer für alle Bestialitäten, die deutschem Volkstum zugefügt wurden. Deshalb muss der Soldat für die Notwendigkeit der harten, aber gerechten Sühne am jüdischen Untermenschentum volles Verständnis haben.“ Es war der Armee bewusst, dass sie nicht nur Krieg führte, sondern dass im Schatten eines Überfalls, den sie bereits mit unglaublicher Grausamkeit ausführte, eine ganze Bevölkerung bis zum letzten Kind ausgerottet wurde.

„Schlagt alle Kommissare und Juden tot!“
Doch der Widerstand einzelner Offiziere gegen das Terrorregime der Besatzung oder gegen die Ausrottung der Juden und Jüdinnen war immer nur die Ausnahme und er blieb folgenlos, da er weder in den eigenen Reihen noch bei den Vorgesetzten Unterstützung fand. Der Widerstand der Militärs gegen Hitler war ein Widerstand gegen Hitlers Kriegsführung, gegen das Zusteuern auf eine sichere Niederlage, ein Widerstand für Deutschland und teilweise für Österreich, aber nur in den allerseltensten Fällen ein Widerstand für die Verhungernden in Leningrad oder gar für die Juden und Jüdinnen.

Das gelegentliche Aufbäumen von Kommandanten gegen die Selektion von jüdischen Gefangenen oder die Erschießungen von ZivilistInnen widerlegt aber auch das Märchen vom Befehlsnotstand: Die maximale Sanktion, mit der ein Offizier, der gegen das Vorgehen der SS protestierte oder seine Gefangenen zu schützen versuchte, zu rechnen hatte, war in der Regel die Versetzung. Der berühmte Satz des Wehrmachtssoldaten, der – auf „Sondereinsätze“ angesprochen – nach dem Krieg erklärte, hätte er nicht geschossen, wäre er selbst erschossen worden, ist nur eine schlechte Ausrede. Die Briefe von jungen Rekruten, die, noch keine zwanzig Jahre alt, stolz von Plünderungen berichteten oder neben ermordeten ZivilistInnen posierten, spiegeln die reale Stimmung in der Wehrmacht wieder, in der niemand gezwungen werden musste. In den Flugblättern, die die deutsche Armee abwarf, um RotarmistInnen zur Kapitulation zu bewegen, hieß es: „Schlagt die Juden! Lauft zu uns über! Schlagt alle Kommissare und Juden tot!“ (Zit. nach Streit S. 86)
Das Militär unterschied sich von anderen Stützen der NS-Vernichtungspolitik vor allem durch eins: dass es nach dem Krieg gelang, eine Gedächtnisunkultur aufzubauen, in der die Verbrechen der einfachen Soldaten zum Verschwinden gebracht wurden und ihr Kampf für die Gaskammern und den „Generalplan Ost“ umgedeutet ist in eine scheinbar unpolitische Pflichterfüllung für irgendeine Heimat.

Literatur:
Christian Streit, Keine Kameraden. Die Wehrmacht und die sowjetischen Kriegsgefangenen 1041-1945 (1991)
Götz Aly, „Endlösung“. Völkerverschiebung und der Mord an den europäischen Juden (1995)