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Angreifbare Traditionspflege: Die Kampagne gegen das Treffen der Gebirgsjäger in Mittenwald

Seit einigen Jahren konfrontieren AntifaschistInnen die Öffentlichkeit mit der mörderischen Tradition der Gebirgstruppe im bayerischen Mittenwald. Gab es zu Pfingsten 2002 zum ersten Mal Proteste von AntifaschistInnen gegen das Treffen, wurde in den vergangenen drei Jahren verstärkt nach Mittenwald mobilisiert: Gegen den Skandal eines Tätergedenkens, an dem sich nicht nur die noch lebenden Täter, sondern auch die Bundeswehr beteiligt; gegen den Skandal, dass unbeirrt an der Mär von Ehre und Tugend der deutschen Gebirgstruppe gestrickt wird; gegen den Skandal, dass antifaschistische AktivistInnen Jahr für Jahr mit Strafverfahren eingedeckt und polizeilicher Repression ausgesetzt werden, während es die bundesdeutsche Justiz bislang noch nicht fertiggebracht hat, auch nur einen einzigen Wehrmachtsoffizier wegen Beteiligung an Kriegsverbrechen zu verurteilen.

Dieses Jahr trafen sich in Mittenwald zum 49. Mal Wehrmachtsveteranen, ehemalige und aktive Bundeswehrsoldaten sowie deren SympathisantInnen zum Gedenken. Bei der Traditionspflege der Gebirgstruppen werden die Kriegsverbrechen im Rahmen des nationalsozialistischen Vernichtungskrieges unter den Tisch gekehrt. Unter dem Deckmantel der "Bandenbekämpfung", als "Vergeltungsmaßnahmen" für (angebliche oder tatsächliche) Widerstandsaktionen der Zivilbevölkerung und der PartisanInnen, verübten Einheiten der Gebirgsjäger über 50 Massaker in Griechenland, Italien, Frankreich, Finnland, Jugoslawien, Polen, Albanien und in der Sowjetunion. Im nordgriechischen Dorf Kommeno ermordeten sie 317 ZivilistInnen und auf Kephallonia, einer Insel bei Korfu, metzelten sie über 5000 entwaffnete italienische Soldaten nieder. 2001 begannen deutsche Behörden wegen des Massakers zu ermitteln. Wie überhaupt in den Gebirgsjägereinheiten, waren auch unter den Tätern von Kephallonia überdurchschnittlich viele Österreicher. Von den noch lebenden 145 Österreichern aus am Massenmord beteiligten Einheiten wurden im Sommer 2003 einige von österreichischen BeamtInnen für die deutsche Staatsanwaltschaft als Zeugen vernommen. Im Herbst 2004 war nach Auskunft des Justizministeriums die Frage, ob Strafverfahren "angezeigt sind, (...) Gegenstand einer gesonderte Prüfung". Von einem Ergebnis ist nichts bekannt. Im bayrischen Mittenwald ticken die Uhren ähnlich - die zweifelsfrei belegten Verbrechen der Gebirgsjäger wurden erst durch die Proteste überhaupt thematisiert.

Der Kameradenkreis übernimmt jedoch in den letzten Jahren auch eine Modernisierung des Gedenkens, die die Bundeswehr seit Jahren betreibt. Dort heißt es seit 1997 im sog. Traditionserlass, dass die Wehrmacht als Institution keine Tradition begründen dürfe. Eine Armee, die in alle Welt geschickt wird, soll nicht als Wehrmachtsnachfolgerin gesehen werden. Historische Fakten werden nicht mehr geleugnet, sondern verbogen und instrumentalisiert. Die militärische Niederlage des Nationalsozialismus wird zum Sieg der Demokratie über den Extremismus umgedeutet. Das Deutschland, das heute auf der weltpolitischen Bühne auftritt, gibt sich geläutert und stellt sich auf die Siegerseite. Doch diese "Armee im Einsatz" kommt nicht ohne Traditionen aus: die Bundeswehr braucht SoldatInnen, die tapfer, kameradschaftlich und hart gegen sich selbst große Leistungen vollbringen. Vorbilder für diesen soldatischen Mist stammen aus der NS-Tätergeneration. Denn auch, wenn die Wehrmacht als ganzes keine Tradition begründen darf, sind einzelne Teile sehr wohl traditionsstiftend für die Bundeswehr - unter ihnen die Gebirgsjäger mit ihrer revisionistischen Traditionspflege.

Die Reaktionen des Kameradenkreises seit Beginn der Kampagne reichen dementsprechend vom Leugnen der Fakten bis hin zum Versuch, Massaker dadurch zu legitimieren, dass man sich ja nur gegen PartisanInnen geschützt habe. Diejenigen, die am Ort der Täter das Gedenken an die Ermordeten einfordern, werden angegriffen - so geschehen 2002, als einige AntifaschistInnen bei einem Festmahl des Kameradenkreises zum ersten Mal eine Gedenkminute für die bei Massakern Getöteten abhalten wollten. Seither zeigt sich immer wieder, was der Kameradenkreis ist: eine Selbsthilfegruppe für Kriegsverbrecher, die in der bayrischen Provinz in bestem Einvernehmen mit Lokalpolitik und Bevölkerung prächtig gedeiht.

Doch die Kampagne zeigt mittlerweile auch konkrete Erfolge: 2005 musste schließlich auf öffentlichen Druck die Kameradschaft des Polizei-Gebirgsjägerregiments 18 aus dem Kameradenkreis ausgeschlossen werden, nachdem die Beteiligung dieses Regiments an der Deportation der Athener Jüdinnen und Juden in die Vernichtungslager nicht länger geleugnet werden konnte. Ein Treffen von Gebirgsjägern in Kreta konnte im Mai 2005 verhindert werden, und auch in Österreich bleiben die Wehrmachtssoldaten der Gebirgstruppen im Zuge des alljährlichen Ulrichsbergtreffens nicht mehr ungestört.

In Kärnten/Koroska ist die mit den deutschen "Kameraden" vernetzte "Kameradschaft vom Edelweiß", in der die Kärntner Angehörigen der Wehrmachts-Gebirgsjägerdivisionen sowie heutige Bundesheer-Angehörige organisiert sind, seit ihrer Gründung ein fester Bestandteil der Ulrichsbergemeinschaft. Blasius Scheucher, Vater des heutigen Klagefurter Bürgermeisters Harald Scheucher, war Gebirgsjäger im Zweiten Weltkrieg, gründete nach 1945 sowohl die "Kameradschaft vom Edelweiß" wie auch die Ulrichsberggemeinschaft mit, deren Vorsitzender bis zu seinem Tod 1962 blieb und machte Karriere in der ÖVP. Heute ist sein Sohn im Vorstand der Ulrichsberggemeinschaft aktiv. Die Verstrickung vieler österreichischer Gebirgsjäger in Kriegsverbrechen und Massaker wird geleugnet. So wurde beispielsweise das Massaker in Kalavryta (Griechenland) von der 117. Gebirgsjäger-Division, die sich zum überwiegenden Teil aus Österreichern zusammensetzte, begangen. Am 13. Dezember 1943 töteten Gebirgsjäger in Kalavryta 477 Männer im Alter zwischen 15 und 65 Jahren auf einem in der Nähe gelegenen Feld, der Ort wurde geplündert, die meisten Häuser niedergebrannt. Das Unternehmen Kalavryta war Teil einer groß angelegten "Vergeltungsaktion", in Reaktion auf PartisanInnenaktivitäten in der Gegend, die die 117. Jägerdivision Anfang Dezember 1943 ausführte.

In Bayern geraten die Gebirgsjäger stärker unter Druck: 2006 musste ihre Feier in Mittenwald schließlich um eine Woche vorverlegt werden, da der Druck des lokalen Tourismusverbandes zu groß geworden war: Das öffentliche Aufsehen, das die Proteste gegen die Militaristenfeier hervorgerufen haben, die unverblümt faschistischen Äußerungen mancher Mittenwalder BürgerInnen vor laufender Kamera und die inzwischen eingeleiteten Ermittlungsverfahren gegen Kriegsverbrecher hatten bereits zu Absagen empörter TouristInnen geführt, die unter solchen Leuten keinen Urlaub mehr machen wollen.

Dem generationenübergreifenden soldatischen Geist wird seit 2002 von antifaschistischer Seite aber nicht nur durch Protest, sondern auch durch Veranstaltungen mit Überlebenden der Massaker der Gebirgstruppe und mit PartisanInnen, die dadurch am Ort der Täter eine Stimme erhalten, entgegnet. Das Traditionstreffen ist vom alljährlichen normalen Vorgang zum brisantesten Thema der lokalpolitischen Debatten geworden.

Link zur Kampagne: www.nadir.org/mittenwald