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Die andere Seite der Medaille zur Sprache bringen.
Weshalb es notwendig ist, im Hause des Henkers nicht nur vom Strick sondern auch von den Gehängten zu reden.

Theodor W. Adorno hat einmal sinngemäss gesagt, "... im Hause des Henkers soll man nicht vom Strick reden; das weckt nur Ressentiments". - Für unsere Situation würde dies heissen: In Kärnten soll man nicht vom Peršmanhof reden, denn sonst weckt man entweder die Ressentiments der Deutschkärntner gegenüber den Partisanen oder man rührt an die verschwiegenen und verdrängten Verbrechen der Nazis. - Worum geht es eigentlich? Was war "Sache" hier in Kärnten?

Ende Jänner 1945, als das KZ Auschwitz von sowjetischen Truppen bereits befreit worden war, war die Nazi-Regierung in Österreich noch voll und ganz auf den "Endsieg" eingestellt. Auch in Kärnten gab es auf der Gauleiterebene noch keinerlei Einsicht, dass SS und Wehrmacht - nicht nur am Balkan, sondern auch in der eigenen Heimat, im ethnisch gemischten Kärnten - einen Vernichtungskrieg gegen jene Teile der Bevölkerung durchführen, die nicht in das rassistische Konzept passten. Dieses Ausrottungskonzept war gegen die ost- und südeuropäische, in erster Linie gegen die jüdische und slawische Bevölkerung gerichtet. Gerade in Kärnten hatte man dies schon früh zu spüren bekommen, sofern man sich nicht rechtzeitig um den "Ariernachweis" bemüht hatte.

Ende Jänner 1945 war das KZ Mauthausen noch voll in Betrieb. Technische Anlagen zur Vernichtung von Menschen, in Auschwitz eilig vor der heran nahenden Roten Armee abgebaut, waren gerade in Mauthausen eingetroffen und neu installiert worden. Man hoffte offenbar hier - im Innenhof des verbrecherischen NS-Systems - noch lange mit dem Tötungsprogramm fortfahren zu können. Zu dieser Zeit, also Ende Jänner 1945, wurde in den Aussenlagern von Mauthausen noch weiter geschuftet und getötet. Genau 3 Monate nach der Befreiung von Auschwitz, am 28. April 1945, "ließ der österreichische Lagerleiter des KZ Mauthausen, SS-Standartenführer Franz Ziereis, auf Anordnung des oberösterreichischen Gauleiters und Reichsverteidigungskommissars August Eigruber, 33 kommunistische Widerstandskämpfer in der Gaskammer von Mauthausen vergasen."

Nicht einmal eine Woche vor diesem letzten, industriell durchgeführten Massenmord durch Gas im KZ Mauthausen, verüben deutsche SS- und Polizeieinheiten hier in Südkärnten am Peršmanhof ein Massaker an der Zivilbevölkerung. An diesem Tag, am 25. April 1945, werden elf Mitglieder der am Peršmanhof ansässigen slowenischen Familie Sadovnik umgebracht und ihr Bauernhof niedergebrannt. Die Opfer sind Kärntner Slowenen, die Partisanen unterstützt hatten. Das jüngste der sieben dabei ermordeten Kinder war noch kein Jahr alt. Die Täter wurden nie zur Verantwortung gezogen. Der Mantel des Schweigens wird über die schreckliche Tat gebreitet. - Später wird man sagen: Und wieder wurde ein "dunkles Kapitel" aus der offiziellen Kärntner Geschichtsschreibung gestrichen.

Die Kärntner Geschichte ist halbiert, geteilt; sie zerfällt in einen offiziellen, herzeigbaren Teil, und in einen inoffiziellen Teil, einen verborgenen Teil, den man auch den Kärntner Slowenen madig machte, in dem man diesen Teil (den des antinazistischen Befreiungskampfes) diskreditierte und zu kriminalisieren versuchte.

So blieben immer die zwei Seiten einer Medaille unterschiedlich sichtbar: Die eine Seite, die nach oben zeigte, die glänzende, war die der Verhandlungen jener Kärntner Patrioten, die den SS-Gauleiter Rainer schliesslich zur Übergabe der Macht überreden konnten. Die dunkle Seite der Medaille, die am Boden lag und die in den Schmutz getreten wurde, war die des mutigen und verzweifelten Handelns der Partisanen, der Deserteure, des religiös motivierten Widerstandes (sei es aus den Reihen der katholischen Kirche oder der Zeugen Jehovas), war das grausame Schicksal der nach Kärnten verschleppten Ost- und FremdarbeiterInnen, der aus Kärnten deportierten und in Lager verbrachten slowenischen Familien, der in den KZs gequälten und getöteten Häftlinge und Kriegsgefangenen, Sinti und Roma, der in Kärnten ermordeten Geisteskranken, Behinderten und gebrechlichen Menschen jeden Alters.

Mit dem Verbrechen am Peršmanhof hatte die Geschichte, die auch in der Ausstellung "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944" gezeigt wird, Kärnten eingeholt. Die Mordaktionen, der hinter der Front operierenden Nazi-Einheiten, hatten endgültig die Heimat erreicht; sie geschahen jetzt vor der eigenen Haustüre. Das war ein Grund mehr, warum man nach 1945 nicht darüber reden konnte und wollte.

Der Peršmanhof wurde von den Deutschkärntnern zur Tabuzone erklärt. Das Gedenken an die Opfer wurde den Betroffenen überlassen und jenen Kärntner Slowenen, die sich auch noch nach 1945 zum antinazistischen Widerstand bekannten. Und das wurden immer weniger. Zu gross war der Druck, der von der deutschkärntner Geschichtsschreibung ausging, die wegen ihrer Nähe zur damaligen Prominenz bestrebt war, Kärnten vom braunen Image wegzubringen. Sie versuchte dies durch Verschweigen der NS-Schandtaten und durch eifriges Aufzeigen von Verbrechen "der anderen Seite".

Ausserhalb von Kärnten sah man die Geschichte jedoch immer schon anders; also mussten wir nach aussen gehen, um die andere Seite der Medaille kennen zu lernen. Als wir im Wintersemester 1995/96 mit unseren Studierenden unter anderem auch Auschwitz-Birkenau besuchten und durch das dortige Museum geführt wurden, sahen wir in der ständigen Österreich-Ausstellung Fotos von den Ermordeten am Peršmanhof. Für viele der Kärntner Studierenden war dies ihre erste "Begegnung" - im fernen Polen - mit diesem heimischen NS-Verbrechen. Schon 1988 musste ich überrascht die Feststellung machen, daß das kleine Widerstandsmuseum hier am Peršmanhof auch vielen slowenischen Studierenden unbekannt war. Bezeichnend, was eine Studentin damals, nach unserem Besuch am Peršmanhof, in ihr Forschungstagebuch schrieb, erschüttert vom Verbrechend und vom Unwissen darüber: "Dort auf einem Berg (gemeint ist hier Koprein-Petzen) haben Nazis eine Familie von neun Mitgliedern umgebracht, weil diese, selbst Slowenen, den Partisanen zum Essen und Trinken gegeben haben. Das jüngste Kind war gerade acht Monate alt. Das ist Kärntner Geschichte, die unter den Teppich gekehrt wurde, wie so vieles andere mehr. Ich fühle sehr viel für die Opfer dieser Zeit, sie haben sich ihr Menschsein bis hin zum Tode bewahrt. (...) Es macht mich krank, wenn viele meiner Mitmenschen hier in Kärnten so unwissend tun. (...) Solange es ihnen gut geht, ist die Welt für sie in Ordnung..."

So war es wohl auch damals in der Nazi-Zeit. Der Mehrheit, den Deutschkärntnern, ging es verhältnismässig gut. Warum sollten sie Widerstand leisten oder diesen unterstützen? Sie und ihre Kinder wähnten sich in Sicherheit, waren sie doch immer schon auf der richtigen Seite der Geschichte. So waren sie indifferent geworden gegenüber den Opfern des mörderischen Systems. Eine Mischung aus Gleichgültigkeit, Hartherzigkeit und einem Nicht-wissen-wollen. Man wusste zwar irgendwie irgend etwas, wollte sich aber keine konkreten Vorstellungen von Verfolgung und Leiden der Minderheit machen. Man lehnte mehrheitlich den Widerstand ab und befürwortete die Jagd auf die Partisanen, die sog. Bandenbekämpfung, die z. T. von der Klagenfurter SS-Kaserne aus betrieben wurde.

Diese Indifferenten waren es auch, die nach 1945 daran interessiert waren, dass "die Welt in Ordnung blieb", dass es ihnen weiterhin gut ging, so lange sie die Geschichte auf ihrer Seite wussten. Alles andere war sekundär - auch für die Kärntner Geschichtsschreibung. Ob entflohene Häftlinge vom Loibl KZ oder Partisanen und Deserteure in den Wäldern der Karawanken, die Geschichte von dem verzweifelten Widerstand der Kärntner Slowenen und von der "Südkärntner Hasenjagd" blieb (als deutschsprachige wissenschaftliche Literatur) ungeschrieben.

Diese Geschichte wird so lange ungeschrieben bleiben, als Partisanen, KZ-Häftlinge, Deserteure, Sinti und Roma, Zwangsarbeiter und die wenigen Juden, die den Holocaust überlebt haben, den "unangenehmen Teil" der eigenen Geschichte repräsentieren. Dieser unangenehme Teil der eigenen Geschichte muss im Dunkeln bleiben, weil dieser Teil der Landesgeschichte von einem Tabu umgeben ist. So wird die öffentliche Meinung von der anderen Seite der Medaille keine Kenntnis erhalten. Sie wird unaufgeklärt darüber bleiben, dass der antinazistische Widerstand der Partisanen den Nazi-Truppen gerade an den strategisch wichtigen Grenzübergängen in Kärnten und in der Steiermark erhebliche Schwierigkeiten gemacht hat; und dass der Partisanenwiderstand und die Befreiung Österreichs untrennbar mit der slowenischen Minderheit in Kärnten verbunden sind, da diese Volksgruppe den größten Anteil an Partisanen und an Unterstützungsleistungen für den Widerstand auf österreichischem Boden stellte.

So konnte mit der Löschung der Erinnerung an diese dunkelste Seite der Nazi-Zeit in Kärnten ein doppeltes Ziel erreicht werden: Man konnte ungetrübt der "grossen Söhne der Heimat" gedenken, ohne deren Eingebundensein in das NS-System thematisieren zu müssen, und man konnte die Partisanentätigkeit herunter spielen und als aufgezwungene, von jenseits der Grenze stammende Machenschaften kommunistischer Banden denunzieren. Nebenbei konnte man der slowenischen Minderheit in Kärnten signalisieren, dass sie auch in der Nazi-Zeit auf der "falschen Seite" gestanden habe und sich deshalb nicht zu wundern brauche, wenn sie den Deutschnationalen damals wie heute ein Dorn im Auge sind.

In Kärnten nicht über das Verbrechen am Peršmanhof zu sprechen, hiess folglich immer auch, nicht über die slowenische Minderheit und ihre Geschichte zu sprechen. Oder anders gesagt: Wenn über "Partisanen" gesprochen wurde, dann mit einem ähnlich abfälligen Unterton, wie über Deserteure, Sinti oder Roma, Juden oder ehemalige KZ-Deportierte - frei nach dem Motto: Die einen waren Drückeberger, Verschwörer, Verbrecher, "Volksschädlinge" und waren deshalb eingesperrt, die anderen waren Räuber, Diebe, Meuchelmörder, verbrecherische Banden und hätten eingesperrt und eliminiert gehört. Im übrigen - so die politische öffentliche Meinung in Kärnten, genauer, die von LH Jörg Haider - sollen die Partisanen "Feinde Österreichs" gewesen sein, die sich keinerlei Verdienste um die Befreiung des Landes erworben hätten.

Ich bin überzeugt davon, dass die Haider`sche Geschichtsversion in einem demokratischen Österreich keine Zukunft hat. Sie ist NS-nostalgisch, für die Ewiggestrigen populistisch zugeschnitten. Die Zukunft jedoch gehört der Aufklärung über die NS-Verbrechen, der Wiedergutmachung an den verschwiegenen Opfern und der Rehabilitierung des antinazistischen Widerstandes. Die Jugend bevorzugt den distanzierteren Blick von aussen, den europäischen Blick auf die Geschichte, so wie ihn z. B. Radomir Luza in seiner amerikanischen Studie "Der Widerstand in Österreich" beschrieben hat:
Die Widerstandsbewegung in Österreich war eine "improvisierte Organisation, eine Gemeinschaft der Hingabe, die ihren Mitgliedern das Gefühl vermittelte, für eine sinnvolle Sache zu kämpfen", nämlich für die Freiheit, für die Befreiung vom Hitler-Regime. Gekennzeichnet war die Widerstandsbewegung in Österreich durch eine geringe Größe, mangelnde militärische Ausbildung und eine relative Isoliertheit von den politischen repräsentativen Organen im Untergrund des eigenen Landes, und: "Es fehlte ein zentrales politisches Organ im Exil, und es fehlte die Unterstützung der Alliierten. (...) Darüber hinaus verhielt sich ein Großteil der Bevölkerung dem Nazi-Regim gegenüber wohlwollend. Das gab es sonst nirgendwo", weder in Jugoslawien, Polen, Frankreich oder Holland. Insofern war es ein verzweifelter und einsamer Widerstand, ein Kampf, dessen militärische Erfolge für viele in keinem Verhältnis zu dem bitteren Leid und dem Verlust vieler Menschenleben standen. Dennoch hatte dieser Kampf, so R. Luza, eine politische und moralische Bedeutung für die spätere Unabhängigkeit Österreichs, für die Anerkennung durch die Alliierten, die 1955 mit der Staatsvertragsunterzeichnung diese Anerkennung auch offiziell zum Ausdruck brachten.

R. Luza schreibt fast poetisch: "Sie (die Partisanen und Widerstandskämpfer) halfen die Seele Österreichs wieder aufzurichten." (S.234) - Sie halfen die Seele Österreichs wieder aufzurichten! Daran sollten wir denken, gerade in einer Zeit, die den Verlust an Werten und Vorbildern beklagt. Daran sollten wir denken, mit oder ohne Emotionen, stets jedoch mit dem gebührenden Respekt gegenüber der historischen Wahrheit und gegenüber den Menschen, die in schweren Zeiten etwas hatten, was anderen fehlte: der Mut zum anderen Weg, zum Widerstand, zum Nein-Sagen, zur Nicht-Anpassung, und die Hoffnung auf ein Ende des Nazi-Terrors.

publ. als: Gstettner, P.: Die andere Seite der Medaille zur Sprache bringen. Weshalb es notwendig ist, im Hause des Henkers nicht nur vom Strick sondern auch von den Henkern und den Gehängten zu reden. In: Pöllinger Briefe. Mitteilungen der Arbeitsgemeinschaft für regionale Kulturarbeit und Bildung (Horn) 2000, Nr. 60, S.28-30