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Textauszug aus dem 2004 erschienen Buch "Und wir bewegen uns doch. Soziale Bewegungen in Österreich." ("In kljub temu se premikamo. Socialna gibanja v Avstriji") von Robert Foltin, das unter www.grundrisse.net bestellt werden kann.

SlowenInnen, Volksgruppen und neue "Völker" / Slovenci/ke, narodne skupnosti in novi "narodi"

In der zweiten Hälfte der 1970er wurden von einem Teil der Szene "unterdrückte Nationalitäten" unterstützt, die vorher wenig Beachtung fanden. Aber im Gegensatz zur BRD waren es in Koroška / Kärnten nicht nur träumerische Projektionen eines neuen Regionalismus, sondern die gelebte Existenz der SlowenInnen im zweisprachigen Gebiet.

Im zweisprachigem Gebiet (slowenisch und deutsch) von Koroška / Kärnten, an der Grenze zu Jugoslawien, fand im Zweiten Weltkrieg der einzige maßgebliche bewaffnete Kampf gegen das Nazi-Regime statt. Den SlowenInnen wurde das nicht gedankt, im Gegenteil, Koroška / Kärnten galt und gilt als deutschnationale und nationalsozialistische Hochburg. Im Staatsvertrag 1955, im berühmten Artikel 7, wurden grundlegende Rechte der "Minderheiten", der SlowenInnen in Koroška / Kärnten und der Steiermark, sowie der KroatInnen im Burgenland festgelegt: zweisprachiger Unterricht, zwei Amtssprachen, zweisprachige topographische Bezeichnungen (Ortstafeln). 1958 erzwang eine Boykott-Kampagne des deutschnational-antislowenischen Kärntner Heimatdienst (KHD) die praktische Abschaffung des zweisprachigen Unterrichts. Als Ersatz wurde das Slowenische Gymnasium in Celovec / Klagenfurt errichtet, das immer wieder als "slowenisches Gift" angefeindet wurde.

1972 setzte die Regierung Kreisky mit knapper Mehrheit im Parlament das Ortstafelgesetz durch, das entsprechend dem Artikel 7 im gesamten zweisprachigen Gebiet zweisprachige topographische Aufschriften vorsah. Nachdem am 20. September 1972 die ersten Ortstafeln aufgestellt wurden, begann der berüchtigte "Ortstafelsturm". Jede Nacht wurden die neuen Ortstafeln wieder und wieder demoliert, meist unter den Augen, wenn nicht mit Unterstützung der Gendarmerie. Bei einem Besuch in Koroška / Kärnten musste Bundeskanzler Kreisky vor einem deutschnationalen Mob flüchten. Ende des Jahres wurde eine "Ortstafelkommission" konstituiert, die aber von den Organisationen der SlowenInnen nicht mehr beschickt wurde, nachdem die Durchführung einer "Minderheitenfeststellung" beschlossen wurde, die eine "geheime Erhebung der Muttersprache" vorsah (Eppel / Lotter 1981, S. 199ff). In den ländlichen Regionen mit dörflicher sozialer Kontrolle bedeutete dies massiven Druck, sich nicht als SlowenIn zu bekennen.

Diese Entwicklungen bewirkten eine Umstrukturierung der politischen Strukturen der Kärntner SlowenInnen / Koroških Slovencev. Dominierten bisher der katholisch-konservativ orientierte Rat der Kärntner Slowenen / Narodni svet Koroškin Slovencev und der linke, oft als "titokommunistisch" bezeichnete Zentralverband / Prosvetna zveza, die hauptsächlich (erfolglose) Lobbypolitik bei den politischen Parteien betrieben, so verlagerte sich der Widerstand durch die akademisch gebildeten Angehörigen der Minderheiten in den außerparlamentarischen Bereich. In allen Universitätsstädten bildeten sich Solidaritätskomitees zur Unterstützung der SlowenInnen (Baumgartner / Perchinig 1995, S. 516).

Die Minderheitenfeststellung am 14. November 1976 scheiterte insofern, als sie im zweisprachigen Gebiet von den meisten SlowenInnen boykottiert wurde, während die Linke in den Städten slowenisch ankreuzte. So wurde festgestellt, dass in Wien dreimal soviele SlowenInnen leben wie in den gemischtsprachigen Regionen Kärntens / Koroške. Baumgartner / Perchinig (1995, S. 517) sehen in dieser Boykottbewegung eine der breitenwirksamsten politischen Bewegungen der Zweiten Republik. Konkrete Verbesserungen für die slowenische Bevölkerung brachte diese Bewegung nicht. Eine Zeit lang fand jährlich in Celovec / Klagenfurt die Oktobrski Tabor / Oktoberarena statt, eine Veranstaltung, die die politischen Anliegen der SlowenInnen mit den kulturellen verbinden wollte (Baumgartner / Perchinig 1995, S. 521). Inzwischen fanden gesellschaftliche Veränderungen statt: während die Assimilation in den traditionell gemischtsprachigen Regionen fortschritt, immer weniger Menschen aktiv slowenisch sprachen, verbreitete sich das Bewusstsein über die Vorteile der Zweisprachigkeit unter Linken und Liberalen der Städte. Die Ostöffnung und der Beitritt zur EU veränderten den Stellenwert der Sprache und der Beziehungen zum Nachbarland Slowenien. Heute gibt es zusätzliche ökonomische Motivationen für den Erwerb zweisprachiger Kompetenz.

Parallel zur Solidaritätsbewegung mit den Kärntner SlowenInnen / s Koroškimi Slovenci wurden in den Städten neue Subjekte und ein neuer Regionalismus "entdeckt" (verbunden auch mit Elementen eines "Heimatgefühls" im Zusammenhang mit BürgerInneninitiativen): die unterdrückten "Völker", die erst jetzt ihren Kampfum Selbstbestimmung begannen,die "Bretonen", die "Okzitanen", die "Korsen" in Frankreich, die "Sarden" in Italien, die "Basken", die "Katalanen", dann auch noch die "Galizier" in Spanien, die "Schotten" und die "Waliser" in Großbritannien, natürlich die IRA als bewaffnet kämpfende Organisation der katholischen "Nordiren". Aus der Stimmung von 1968 heraus galt die Sympathie besonders jenen, die bewaffnet kämpften und sich einer linken Rhetorik befleißigten. Die "kämpfenden Völker" hatten sich vervielfältigt. Auch in den entkolonisierten Staaten wurden neue "Stämme und Völker" entdeckt. Auf sie hatten die Grenzziehungen keine Rücksicht genommen (vgl.ZB Nr. 8, S. 16). Ein Lieblingsobjekt wurde dabei das "größte Volk ohne Staat", die "Kurden". Aufgeteilt zwischen der Türkei, dem Iran, dem Irak und Syrien. Die Idealisierung mancher dieser "kämpfenden Völker", oder besser, irgendwelcher bewaffneter Organisationen, die sich als VertreterInnen dieser "Völker" sehen (die ETA als bewaffnet kämpfende baskische Organisation, die PKK als kurdische Organisation, solange sie noch bewaffnet gegen die Türkei kämpfte), hat sich bis heute fortgesetzt, andere sind einfach vergessen worden. Wen interessieren heute noch die "Korsen", die "Sarden", die "Bretonen"?


zum Buch:

Und wir bewegen uns doch
Soziale Bewegungen in Österreich

von Robert Foltin, 2004, edition grundrisse

Immer wieder wird - je nach Standpunkt - beklagt oder festgestellt, dass linke Bewegungen in Österreich nie ein größeres Ausmaß erreicht hätten. Trotzdem veränderte sich die institutionelle Struktur wie auch die Sichtweise und Lebensverhältnisse der Bevölkerung auch durch soziale Kämpfe. Internationale Einflüsse waren zwar wichtig, aber es gab auch hier mehr oder minder starke Aktivitäten. Diese Bewegungen, von den Revolten des Lebensstils der 1960er über die Besetzung der Wiener Arena, den Widerstand gegen das AKW Zwentendorf und das Wasserkraftwerk Hainburg, die Proteste gegen die Wahl Kurt Waldheims zum Bundespräsidenten bis hin zu den Studierendenstreiks 1987 und 1996 und vieles mehr werden von Robert Foltin nachgezeichnet. Nicht zu vergessen die Bewegung gegen die ÖVP-FPÖ-Regierung ab dem Februar 2000, die eine für Österreich unerwartete Intensität hatte, aber auch der relativ schwache Widerhall der globalen Protestbewegung zu Beginn des neuen Jahrtausends. Im Zusammenhang mit seinen historischen Betrachtungen aus Perspektive des Widerstandes entwickelt der Autor auch eine Analyse der Transformation internationaler Entwicklungen und eine Beschreibung der Veränderungen der herrschenden Strukturen - nicht nur in Österreich.