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von Peter Gstettner
Rede beim Peršmanhof am 25. Juni 2000 angesichts angeblich "guter Vorzeichen für den 10. Oktober" durch den kürzlich vollzogenen "Kärntner Volksgruppenkonsens". (unpubliziert).

Erinnern und feiern. Gemeinsam. Aber wer mit wem und weshalb überhaupt?

Die Erinnerung an die Nazi-Verbrechen hier am Peršmanhof ist eine schmerzhafte, geht es doch um die Trauer um die 11 Opfer der slowenischen Familie Sadovnik, die hier ihr bäuerliches Anwesenen hatte und die am 25. April 1945 als Großfamilie von den Nazis fast zur Gänze massakriert wurde - von dem gerade 8 Monate alten Mirko bis zur über 77jährigen Großmutter Franciska. Diese Trauer mischt sich mit der Wut darüber, wie nach 1945 in Österreich und in Kärnten mit dem Partisanenkampf und dem antifaschistischen Widerstand umgegangen wurde.

Wenn wir uns heute hier beim Peršmanhof versammeln, im 55. Jahr nach der Befreiung vom Nazi-Terror, der gerade in Südkärnten unter der slowenischen Bevölkerung auf blutigste Weise gewütet hat, dann sollte dieses Treffen aber nicht nostalgisch sein und nicht nach rückwärts gewandt in eine Vergangenheit weisen, die viele von uns nicht mehr persönlich erlebt haben.

Erinnerung, wie wir sie praktizieren wollen, hat Bedeutung für die Gegenwart und weist Wege in die Zukunft. Deshalb möchte ich eher über das Vermächtnis der Peršmanhof-Erinnerung sprechen. In diesem Zusammenhang werde ich ein paar kritische Fragen aufwerfen und sie vor allem an die Kärntner Slowenen adressieren. Als ein Freund und Sympathisant der Kärntner Slowenen, der deswegen auch schon oft von den Deutschnationalen beschimpft wurde, nehme ich mir die Freiheit zu fragen:

- Was haben die Kärntner Slowenen mit ihrer Tradition des antifaschistischen Widerstandes gemacht? Sind solche Gedenktreffen, wie das heutige, alles, was vom Widerstand der Volksgruppe übrig blieb?
- Wie verhalten sich die Kärntner Slowenen zum Aufschwung der neofaschistischen Kräfte in Kärnten, in Österreich, in Europa? Ist der "Dialog" und die neue Partnerschaft mit der Haider-Partei alles, was an Antworten möglich ist und vom Widerstand übrig blieb?
- Wo ist die Stimme der Kärntner Partisanen, wenn es darum geht, die im Österreichischen Staatsvertrag verbrieften Rechte einzuklagen, wenn es darum geht, dem Vormarsch des Deutschnationalismus, bis hin zu seiner Regierungsmacht in Kärnten, die Stirn zu bieten? Gibt es dazu nicht mehr zu sagen, als vertrauliche Gespräche zu führen hinter verschlossenen Türen mit Jörg Haider und seiner Kärntner Schattenregierung, dem "Abwehrkämpferbund" und dem "Heimatdienst"?
- Wo stehen die Kärntner Slowenen heute im Europa der EU-14, die mit Besorgnis und Abscheu auf die Regierungsbeteiligung der FPÖ in Österreich schauen und die an dem Kärntner Regierungschef nicht einmal symbolisch "anstreifen" wollen? - Aus gutem Grund ist er in Europa völlig isoliert, denn die europäischen Staaten haben ein gutes Gedächtnis, was die Nazi-Zeit betrifft, und eine scharfe Beobachtung, was eine unterlassene Aufarbeitung dieser Zeit und was einen verharmlosenden und beschönigenden Umgang mit den NS-Verbrechen betrifft.
- Wo also ist die Solidarität der Kärntner Slowenen mit dem antifaschistischen Europa, das die Haider-Partei wohl begründet außerhalb des europäischen antifaschistischen Nachkriegskonsens verortet und deshalb meidet?
- Stehen die Kärntner Slowenen (bzw. steht ihre Führung) noch auf dem Boden dieses europäischen antifaschistischen Postulats - also solidarisch hinter der Grundposition der EU-14 oder haben es die Kärntner Slowenen schon längst vorgezogen, die Haider-FPÖ als Gesprächspartner anzuerkennen, um mit ihr politische Geschäfte zu machen und um ihr damit zu dem Anschein einer harmlosen Allerweltspartei im üblichen demokratischen Spektrum zu verhelfen?

Daß Haider selbst darauf erpicht ist, daß ihm gerade die Kärntner Slowenen zu diesem Good-Boy-Image verhelfen, daß er dafür eventuell auch etwas verspricht oder die Volksgruppe symbolisch belohnt, das ist wohl verständlich und entspricht genau seinem Kalkül, um jeden Preis seinen persönlichen europäischen Imageverlust gut zu machen. Dazu ist ihm jetzt sogar auch die Mithilfe der Slowenen willkommen. Warum sollte er sie nicht mit offenen Armen empfangen, warum sollte er nicht mit den Kärntner Slowenen in einen offenen Dialog oder auch in eine Kooperation eintreten, wenn es ihm (a) sowieso nichts kostet und (b) außenpolitisch unbezahlbaren Gewinn bringt und wenn (c) die Kärntner Slowenen so gierig darauf sind, als "Gesprächspartner" von ihm anerkannt zu werden?

Die Strategie Haiders rechnet sich allemal in Form von langfristiger Loyalität und Dankbarkeit seitens der Slowenen. Haider rechnet dabei natürlich auch mit dem schlechten Gedächtnis der slowenischen Volksgruppe, er rechnet z. B. damit, daß die Slowenen vergessen haben, daß es immer FPÖ-Funktionäre waren, die in Kärnten in vorderster Front, gemeinsam mit dem "Abwehrkämpferbund" und dem "Heimatdienst", die Schultrennung im zweisprachigen Gebiet und die Ghettoschule für Kärntner Slowenen verlangt haben. Und er rechnet damit, daß die Kärntner Slowenen, nach den vielen Demütigungen durch die Regierenden und nach den vielen leeren Versprechungen seit 8o Jahren, um jedwede Aufmerksamkeit und Zuwendung froh und dankbar sind; dankbar dafür, daß sich Haider z. B. jetzt dafür einsetzt, daß Kärntner Slowenen zu den 10.Oktober-Feiern zugelassen werden.

Es stimmt schon: Eigentlich muß Haider den Kärntner Slowenen dafür dankbar sein, daß sie für die erlittenen Demütigungen weder Entschuldigungen noch Rechtfertigungen verlangen, von einer "Wiedergutmachung" ganz zu schweigen. Eigentlich muß Haider den Kärntner Slowenen auch dafür dankbar sein, daß sie es ihm nicht nachtragen, daß er, Haider, die Kärntner Partisanen niemals als österreichische Freiheitskämpfer wahrgenommen und geehrt hat; offenbar haben die Kärntner Slowenen dem LH Haider schon vergeben, daß er sich weigerte, Widerstandskämpfern in Kärnten das Ehrenzeichen um die Befreiung Österreichs zu überreichen und daß er sie bei dieser Gelegenheit als österreichfeindliche Anti-Patrioten verunglimpfte, daß er Deserteure, die von der Wehrmacht zu den Partisanen gingen, als "Verräter" bezeichnete, weil sie in Wirklichkeit ja nicht gegen Hitler sondern gegen die "eigenen Waffengefährten" gekämpft hätten.

Das Vermächtnis der Erinnerung vom Peršmanhof kann meiner Ansicht nach dem gegenüber nur heißen: Aufrechterhaltung der ungetrübten und ungeschmälerten Erinnerung an die antifaschistische Tradition der Kärntner Slowenen und Entwicklung einer auch in der Zukunft tragfähigen Kultur des Widerstands, ich meine damit eine Kultur, die auch die kommenden Generationen zu aufrechtem Gang, zu einem Widerstand in Selbstachtung und Würde befähigt.

Konkret könnte ich mir vorstellen:
- Ausbau des Peršmanhofs zu einem europäischen Memorial; Neugestaltung des Museums mit mehrsprachigen Aufschriften, Erweiterung um die Aspekte der anderen Widerstandskämpfe in Kärnten, in den NS-Zwangsarbeiterlagern, in den Mauthausen-Außenlagern, Erweiterung um die Darstellung der Schicksale der Kommunisten, der antifaschistischen Geistlichen, der Juden, der Sinti und Roma, der Deserteure, der Widerstandsaktivisten aus Glaubensgründen, wie der Zeugen Jehovas usw.;
- Sollte sich der Peršmanhof dafür als zu klein erweisen, wäre es ohnehin höchste Zeit, daß sich die Kärntner Slowenen mit ihrer Widerstandsgeschichte an eine größere Öffentlichkeit wenden, z. B. über eine eigene Internet-Seite des Parisanenverbandes und des Peršmanhof-Museums, über "Links" zu anderen Gedenkstätten, über die Verbindung zu anderen Widerstandsmuseen in Europa, Israel und den Vereinigten Staaten, über didaktisches Material für die österreichischen Pflichtschulen, über mehrsprachiges Informationsmaterial, das in der Gemeinde Eisenkappel ebenso aufliegt wie in den Tourismusbüros von Amsterdam, Brüssel oder Ljubljana;
- Selbstverständlich gehört dazu auch die alte Forderung, das obligatorische zweisprachige Schulwesen des Staatsvertragsjahres 1955 wieder herzustellen, mit der Perspektive der Ausweitung der Zweisprachigkeit auf alle öffentlichen Kindergärten im Geltungsbereich. Noch nie so, behaupte ich, hätte diese Forderung eine so breite europäische Aufmerksamkeit und Unterstützung wie heute. Die besten Voraussetzungen wären zudem gegeben: viel mehr und viel besser ausgebildete LehrerInnen als vor 50 Jahren, eine neue Generation von hoch motivierten, unbelasteten Lehrkräften, die Zweisprachigkeit als selbstverständliche Errungenschaft des neuen Europas zu schätzen wissen.

Nochmals: Es geht - eingedenk der Widerstandstradition - um die Wiedereinsetzung von Errungenschaften und Rechten, die die Kärntner Slowenen bereits einmal hatten, und es geht um konkrete Schritte zur Verwirklichung der Bedingungen, unter der Österreich von den Alliierten den Staatsvertrag unterzeichnet bekam, also unter der Bedingung der Entfernung aller Spuren von Neo-Nazismus, Faschismus und Antisemitismus. Das ist die Basis der Tradition, von der wir hier sprechen, das steht heute auf der europäischen Tagesordnung, und nicht die angebliche Ungleichbehandlung deutschkärntner LehrerInnen oder das getrennte oder gemeinsame Feiern des 10. Oktober! Das interessiert ausserhalb von Kärnten wirklich niemanden.

Das Vermächtnis der Erinnerung vom Peršmanhof greift also viel weiter als nur auf das fragwürdige Image unseres Landes und seiner Politiker. Es geht um die Positionierung im antifaschistischen Grundkonsens der europäischen Wertegemeinschaft - und darum, uns und unseren Kindern diese europäische Zukunft zu sichern; sie wird aber ohne den deutlich sichtbaren Widerstand gegen den regierenden Zeitgeist nicht zu haben sein.