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Soldatische Traditionspflege: Das Bundesheer und der Ulrichsberg

Anders, als man vielleicht annehmen würde, war mit der Befreiung Österreichs vom Nationalsozialismus, nicht von vornherein klar, dass eine Wiederaufrüstung Österreichs, angesichts der massiven Beteiligung vieler Österreicher am verbrecherischen Vernichtungskrieg der Wehrmacht, zumindest hintanzustellen und gesellschaftlich zu diskutieren wäre. Dem war aber ganz und gar nicht so. Ganz im Gegenteil, nach dem Krieg wurde von offizieller Seite kein Versuch unternommen, die Sinnhaftigkeit einer Reetablierung traditioneller militärischer Strukturen grundsätzlich zu überdenken, sondern man beschloss umgehend ein geheimes Wiederaufrüstungsprogramm. Dies geschah unter Wahrung autoritärer und vordemokratischer Werte, die an Hand der bevorzugten Rekrutierung von ehemaligen Wehrmachtssoldaten, zugunsten von etwa antifaschistischen WiderstandskämpferInnen, in Schlüsselpositionen deutlich wird (1) und die soldatische Traditionspflege, wie sie etwa in der "Heimkeher-Gedenkstätte" am Ulrichsberg zu finden ist, erklärt.

Bereits die provisorische Regierung unter Karl Renner war schon Ende April 1945, also noch in den letzten Kriegstagen, von der Notwendigkeit der Wiedererrichtung einer "bescheidenen Wehrmacht" überzeugt. Dementsprechend wurde ein Unterstaatssekretariat für Heereswesen eingerichtet, welches vordergründig mit der Demobilisierung österreichischer Wehrmachtssoldaten betraut war, verdeckt aber auch an dem Aufbau neuer militärischer Strukturen arbeitete. Dazu wurden vorrangig Soldaten registriert, um diese für spätere Aktivitäten heranziehen zu können, sowie Militärkommandostellen in den Bundesländern eingerichtet.

Geleitet wurde das Unterstaatssekretariat von Oberstleutnant Franz Winterer, Jahrgang 1892, Mitglied der Sozialistischen Partei. Winterer hattte als Berufssoldat mehrmals verwundet den ersten Weltkrieg überstanden und wurde in der 1. Republik vom Bundesheer übernommen. Daneben war er Reichsausbildungsleiter des Republikanischen Schutzbundes gewesen, ungeachtet dessen versah er jedoch im Februar 1934 in den Reihen des Bundesheers "tadellos seinen Dienst" bei der Niederschlagung der sozialdemokratischen ArbeiterInnen. Auch in der Wehrmacht war Winterer tätig, wo ihm, nur wenige Monate vor Ende des Krieges, noch attestiert wurde, "fest auf dem Boden der nationalsozialistischen Weltanschauung" zu stehen.(2)

Parallel zum Aufbau dieser Heeresstrukturen, wurde, unter Leitung des Staatssekretärs für Inneres, am Aufbau der Gendarmarie gearbeitet, die als "militärisch organisierter bewaffneter Wachkörper" dienen sollte. Neben diesen beiden paramilitärischen Strukturen befinden sich als einzige regulär bewaffnete österreichische "Militär"-Formationen in den Nachkriegsmonaten Mitglieder der "Österreichischen Freiheitsbatallione", die in die neu entstehenden Heeresstrukturen personell aber nicht mit einbezogen wurden, u.a. da das Heer nicht kommunistisch infiltriert werden sollte. Im November 1945 beschloss der Alliierte Rat, der von diesen Aktivitäten Kenntnis bekommen hatte, jedoch jede militärische Betätigung Österreichs zu untersagen und die neu errichteten Heeresdienststellen, samt Staatssekretariat, aufzulösen.(3)

Nach diesem Rückschlag für die Bundesregierung, wird in den folgenden Jahren die Idee des Aufbaus einer neuen Wehrmacht nicht grundsätzlich aufgegeben, die Umsetzung jedoch durch mehrere Faktoren gebremst. Zum einen will die Regierung durch eine zu offene Militarisierung die vier Allierten nicht verstören und somit die Unterzeichnung des Staatsvertrages aufs Spiel setzen. Zum anderen gibt es zwischen SPÖ und ÖVP deutliche ideologische Unterschiede, was die Vorstellungen zu Funktionen, Struktur und Aufbau eines neuen Heeres betrifft. So vertritt die SPÖ, auf Grund der Eindrücke des Austrofaschismus und des Bürgerkriegs unter Beteiligung des Bundesheeres in der 1. Republik, das Konzept eines demokratisierten Milizheeres, während sich die ÖVP ein entpolitisiertes Berufs- bzw. Kaderheer wünscht, das an die militärische Tradition der k.u.k. Armee anschließt. Auf Grund des vermeintlichen Bedrohungsszenarios eines möglichen kommunistischen Aufstandes im Inneren und unter Druck der USA bzw. wegen der wichtigen strategischen Rolle Österreichs als "Key Area" im Kalten Krieg einigen sich die beiden Parteien schließlich auf einen neuerlichen Anlauf bei der Remilitarisierung Österreichs. So werden 1952 die bestehenden Gendarmarieschulen von Heeresoffizieren übernommen, mit Hilfe der West-Allierten und unter personellem Rückgriff auf ehemalige Wehrmachtsangehörige rund 8.000 Mann für sogenannte Alarmabteilungen rekrutiert und ausgerüstet. Nach der Unterzeichnung des Staatsvertrages bildet diese B-Gendarmarie den Kern für die Schaffung des Bundesheers.(4)

Wie stark das Bundesheer auf die alten Wehrmachtseliten aufbaute, wird durch folgende Zahlen belegt. 1960 umfasste das Bundesheer rund 1.600 Offiziere: davon hatten 250 vor 1938 im ersten Bundesheer gedient, 860 in der Wehrmacht; rund 500 davon hatten ihre Offiziersausbildung erst im zweiten Bundesheer erhalten. Sechs Jahre später gab der Verteidigungsminister grünes Licht für die Wiedereinführung der Traditionspflege, die im Bundesheer - im gegensatz zur Bundeswehr - bis heute aufrecht erhalten wird.(5)

Gerade durch diese Nachkriegsgeschichte des österreichischen Bundesheeres wird deutlich, wie die Restaurierung von alten Soldaten-Eliten zugunsten von in den Freiheitsbatalionen organisierten Widerstandskämpfern, zusammen mit einem kommunistischen Bedrohungsszenario im Inneren und von Außen Hand in Hand ging und ist damit auch ein Schlüssel zum Verständnis um die Bedeutung der soldatischen Traditionspflege am Ulrichsberg. Um dies Art des Soldatentums besser zu verstehen, ist es aber auch interessant sich das Selbstverständnis und dessen Transformation in einem fortschreitenden Verdrängungsprozess vieler Wehrmachtssoldaten näher anzusehen.

Wurde noch bei Kriegsanfang 1941 seitens der NS-Propaganda versucht zu verschleiern, dass Deutschland der Aggressor in einem völkerrechtswidrigem Krieg war, kann nach Steckenbleiben des Blitzkrieges eine zweite Phase und damit ein zweites Erklärungsmuster unterschieden werden: Nun wird nicht mehr das "Vaterland verteidigt", sondern die "Befreiung der Völker der Sowjetunion vom Joch des Bolschewismus" propagiert. In der dritten Kriegsphase, in der die deutschen Truppen schrittweise zurückgedrängt werden, taucht innerhalb der Wehrmacht als Erklärung für den Krieg vermehrt die Idee ein "Bollwerk gegen die bolschewistische Flut" zur Verteidigung des "Abendlandes" zu bilden auf.(6) Gerade dieses letzte Argumentationsmuster, konnte unter dem Eindruck des Kalten Krieges auch nach 1945 für viele ehemalige Wehrmachtssoldaten als unverdächtiges Erklärungsmuster dienen. Erweitert musste es nur noch um das Bild des einfachen Soldaten werden, der entweder frei von jeglicher "Ideologie" oder "irregeleitet", nur seine "Pflicht", den anderen Kameraden gegenüber, erfüllt hatte und die Verdrängung der eigenen Rolle in einem verbrecherischen Krieg war perfekt.

Gerade dieses Verständnis von Soldatentum, das seine Wurzeln nicht im Nationalsozialismus hat, sondern sich auf den herausbildenden Nationalismus und Imperialismus (nicht nur) von Militäreliten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zurückführen lässt, ist ein zentraler Faktor für die verbreitete Zustimmung zum Krieg der Wehrmacht. Die Gedenkstätte am Ulrichsberg, wo vordergründig unverständlich bunt-zusammengewürfelte Tafeln im Andenken an Truppen aus dem 1. Welkrieg oder den Kärntner Abwehrkampf, neben Tafeln im Andenken an deutsche Bombenopfer, in- und ausländischer SS- oder Wehrmachtseinheiten, Ritterkreuzträger oder das Bundesheer hängen, schließt an diese soldatische Traditionspflege, durch den Rückgriff auf Begriffe wie "Kameradschaft", "Ehre" und "Treue" an. Vordergründig unverdächtig kann dadurch auch heute noch der Kampf von SS-Freiwilligen aus ganz Europa im Weltkrieg, als ein Vorläufer des viel beschworenen europäischen "Einigungsprozesses" gedeutet werden. Zusätzlich wird durch die personellen, wie auch ideologischen Kontinuitäten klar, welche Funktion das Bundesheer für das Selbstverständnis vieler ehemaliger SS- und Wehrmachtssoldaten hatte und umgekehrt in welche Tradition sich das Bundesheer selber bis heute stellt.

Genau hier böte sich auch für AntifaschistInnen ein Ansatz antimilitaristische Kritik, jenseits eines abstrakten Pazifismus, zu formulieren und den Ulrichsberg als Kristallisationspunkt zu nutzen, um dies anzugreifen. Gerade auch vor dem Hintergrund eines neuen "europäischen Selbsbewusstseins", dass seinen Ausdruck in schnellen Eingreiftruppen auch militärisch unter Beweis stellen will.

Fußnoten
(1) vgl. STIFTER Christian (1997): Die Wiederaufrüstung Österreichs. Die geheime Remilitarisierung der westlichen Besatzungszonen 1945-1955. Wien. Seite 15f
(2) ebd. Seite 33f
(3) vgl. RIEMER Viktor, KOLBA Peter, STEYRER Peter (1987): Weissbuch Landesverteidigung. Kritik der militärischen Sicherheitspolitik in Österreich. Wien.
(4) vgl. BLASI Walter (2005): Die B-Gendarmarie. In: BLASI Walter, SCHMIDL Erwin, SCHNEIDER Felix (Hg.): B-Gendarmarie, Waffenlager und Nachrichtendienste. Der militärische Weg zum Staatsvertrag. Wien.
(5) Unter den aus der Wehrmacht ins Bundesheer übernommenen Soldaten befinden sich auch rund 50 Ritterkreuzträger. Das Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes war ein von Adolf Hitler für besondere Leistungen im Kampf ins Leben gerufener Orden, gedacht für eine kleine Soldaten-Elite. vgl. BERGER Florian (2003): Ritterkreuzträger im Österreichischen Bundesheer 1955-1985. Wien. Seite 6ff
(6) vgl. BAILER Brigitte, LASEK Wilhelm, MANOSCHEK Walter, NEUGEBAUER Wolfgang (1996): "Revisionistische" Tendenzen im österreichischen Bundesheer? Stellungnahme zu Aussagen von Dr. Heinz Magenheimer. Wien. Seite 17ff